Mittwoch, 03.05.2006 / Stüdlhütte / Großglocknergipfel / Stüdlhütte / Hüttenübernachtung
Heute ist der lang ersehnte Tag - dazu Bilderbuchwetter. Auf der Hütte sind maximal sechs Leute. Bei mir im Raum nur noch ein Pärchen mittleren Alters. Frau und Mann - ich denke Bergführer und Kundin. Sie werden allerdings später für mich noch eine wichtige Rolle spielen. Gut geschlafen - früh aufgestanden und den Sonnenaufgang fotografiert. Schlecht gefrühstückt. Sachen gerichtet und letztes Überdenken des Equipments. Gegen 6.45 Uhr los marschiert. Tolle Gletscherbedingungen - verharschter Firn - gute Aufstiegspur. Zwar ist die Sonne schon da - am Ködnizkees - aber es ist schön frisch, vom Gletscher her. Was man von unten nicht sieht, der Mürztaler Steig wird quasi im Winter von hinten her quer erstiegen. Kurz über dem Einstieg wechsle ich auf die Steigeisen und deponiere hier die Ski, die Stöcke und die Felle. Ein weiterer, mir sehr steil erscheinender Ausstieg befindet sich direkt am Fuß und in Höhe des Glocknerleitl, den aber viele Skitourengeher benutzen. Er ist zwar steiler, aber wesentlich kürzer. Auf dem Mürztaler Steig komme ich gut voran - dessen Fixseile aus Stahl verschwinden allerdings häufig im Firn. Keine Probleme im Aufstieg - nachmittags, im Abstieg, werde ich an einer Stelle sichern müssen. Ich passiere die zugeschneite Erzherzog-Johann-Hütte (3454 M) und komme über das Plateau der Adlersruhe zum Fuß des Glocknerleitl, das im unteren Teil gut zu besteigen ist. Je näher man dem Ausstieg kommt, desto steiler wird es - rechts an den Felsen sind Sicherungshaken. Ich kann es aber nicht glauben, dass es nur - wie beschrieben - 35° sein sollen. Man hat aber nie Angst, weil, wenn man stürzt, rollt man einfach bis zum flacher werdenden Hang hinunter aus. Diejenigen, die nicht über den Mürztaler Steig kommen, nehmen die Ski bis hierher mit.
Der Ausstieg des Leitl mündet direkt in die Ostgratflanke des Kleinglockner auf einen kleinen Sattel. Ab hier trifft man auf Sicherungsstangen - es beginnt die Absturzzone. Ein Sturz ist in keinem denkbaren Fall ungesichert selbst aufzufangen. Die Wände sind zu steil. Etwa alle 15 - 20 Meter kommt eine Stange, wo ich mich selbst am Stand sichere und verschnaufe. Viel Verkehr und auch Stress am Ostgrat - auf einmal. Die ersten Seilschaften kommen schon zurück - müssen aber oben warten - und von unten drängen ständig Aufsteigende nach. Der Führer einer Gruppe mit fünf Italienern steigt ohne Rücksicht auf alle Anderen auf. Direkt an meiner Stange, wo ich gesichert bin, kommt es zum Streit. Der Rucksack des Italieners fällt einem absteigenden Bergführer ins Gesicht, worauf dieser ihn anbrüllt und heftig schüttelt. Unbeeindruckt steigen diese aber weiter auf und 'nehmen' sich einfach den Grat - vor allen Anderen. Ich merke bald, dass man mit Höflichkeit hier nicht weit kommt. Das Warten kommt mir wie eine Ewigkeit vor, aber ich habe keine Wahl. Auch ich muss mir quasi 'den Grat nehmen', sonst stehe ich in einer Stunde noch da, denke ich. Gleichzeitig beobachte ich, wie die Bergführer immer wieder mit ihren Pickeln gegen die Steigeisen schlagen, um den angebollten Pappschnee weg zu klopfen. Später sagte einer - dies seie sehr gefährlich und nur bei Neuschnee notwendig. Mühelos komme ich in den Gipfelbereich. Rechts ist der Gipfelgrat stark überwächtet, weshalb die Spur in die steil abfallende Südwand ausweicht. Ich weiß, dass dieses Empfinden subjektiv ist und durch die mächtigen Wächten zum Teil vorgetäuscht wird. Am Kleinglocknergipfel treffe ich auf einen, wie mich. Ein Solo-Bergsteiger, den ich vom Abend auf der Hütte her kenne und der zufällig wie ich auch Hanspeter heißt. Er bittet mich, ein Bild von ihm, mit dem Gipfel im Hintergrund zu machen. Dann machte er eines von mir. Wir hatten beide eine Canon-Ixus. Während dessen hatte ich schon gesehen, dass die Kletterfelsen nach der Scharte ungesichert für mich wohl nicht möglich sind, was der Solo-Bergsteiger bestätigte. Er sagte: "Es wird viel schwieriger, als das bisher Gemachte". Ich frage ihn, ob er Bergführer ist, und mich eventuell bis zum Gipfel sichern könne bzw. wolle. Aber nein - er stieg ab. Ich aber studierte jetzt vom Kleinglocknergipfel aus genau die vor mir liegende Strecke. Der Abstieg in die Obere Scharte ist überhaupt kein Problem. Auch sehe ich sofort: Die Scharte ist für mich machbar, obwohl sie viel schmäler ist, als ich dachte. Nicht fußbreit, sondern vielleicht halb-fußbreit. Die ganz Ängstlichen passieren sie, obwohl zusätzlich am Seil gesichert, im Reitersitz. Die Scharte ist aber höchstens etwas mehr als halb so lang wie angegeben. Vielleicht 5 - 6 Meter, schätze ich. An der Scharte sollte es aber nicht scheitern. Ich habe viel geübt und auch alles zur Selbstsicherung mit dabei, obwohl das Sich-selbst-sichern immer sehr umständlich und zeitraubend ist. Bei so viel Verkehr am Gipfel - keine wirkliche Option. Bis hierher würde ich also kommen, weiter wohl nicht. Die Kletterfelsen, etwa eine Seillänge über dem Abgrund - ich muss es jetzt erneut bestätigen - ist mir Solo und ungesichert zu gefährlich. Das ist es nicht wert, denke ich. Nach dieser Seillänge allerdings wird es deutlich einfacher - das sehr kleine Gipfelplateau mit dem Kaiserkreuz legt sich etwas zurück. Also, am Kleinglocknergipfel ist die Tour wohl beendet, denke ich. Und so nah dran.
Jetzt aber beobachte ich, wie 'drüben' der Bergführer und seine Partnerin - wir hatten in etwa den ganzen Morgen den gleichen Aufstiegsrhythmus - die Kletterstelle technisch meistern. Ich warte geduldig, bis sie seinen Stand erreicht und rufe dann hinüber: "Könnt ihr mich bis zum Gipfel mitnehmen". "Bis auf die andere Seite der Scharte komme ich selbst". Es war, wie ich erkannte, eine äußerst günstige Situation zu fragen. Denn von seinem Stand aus brauchte er das Seil nur herunter zu werfen, oder einem Absteigenden für mich mitgeben - wie es dann auch tatsächlich kam. Nun - es ist überhaupt nicht meine Art, und schon gar nicht in den Bergen, Andere um etwas zu bitten. Aber diese einmalige Chance musste ich einfach versuchen. Dann rief ich hinüber: "Wenn du Nein sagst, ist es für mich kein Problem". Er überlegte kurz und sagte dann: "Ich bringe sie (seine Partnerin) hoch, dann komme ich zurück". Ich freute mich riesig. Jetzt stieg ich in die Scharte ab, wo ständig hinüber und herüber gesichert wurde; weshalb ich mich wieder traute zu fragen, ob ich ein bereits vorbereitetes, liegendes Sicherungsseil kurzfristig benutzen darf, was sie mir gerne gestatteten. Der Steg der Oberen Scharte war so schmal, dass ich nicht vorwärts, wie ich geübt hatte, sondern nun doch in Side-Step-Technik, die ich nicht geübt hatte, hinüber gehen musste. Side-Step, eine Technik, die ich an Graten überhaupt nicht mag. Wenn man verwackelt oder die Knie zittern, ist es bereits zu spät. Unkontrollierte Körperbewegungen gehen immer nach vorne oder nach hinten - Richtung Abgrund. Von oben gesichert komme ich jetzt mühelos zum 3798 Meter hohen Gipfel. Dort fotografiere ich selbstverständlich auch für Andere. Nach einer kurzen Pause bereiten wir den Abstieg vor - wir sind relativ spät. Am Kleinglockner biete ich an, von jetzt an wieder alleine abzusteigen. Außerdem habe ich ein Einfachseil von 20 Meter Länge dabei und kann so schwierige Stellen selbst sichern bzw. abseilen. Meine Seilpartner schlagen vor, dass wir gemeinsam weiter absteigen, was ich gerne annehme. Kurz vor der letzten Sicherungsstange, rutsche ich aufgrund verbollter Steigeisen in die vor mir absteigende Seilerste hinein. Gott sei Dank, das Seil hält. Und auch durch meine Steigeisen, die dicht über ihrem Kopf waren, ist bis auf ein Loch in Hose und Handschuh und der abgestürzten Skibrille nichts weiter passiert. Ich nehme sofort die ganze Schuld auf mich und entschuldige mich. Sie aber machten mir nie einen Vorwurf. Unterhalb des Ausstiegs, zurück am Glocknerleitl, tauschen wir unsere Adressen aus und verabschieden uns, wobei sich herausstellt, dass sie ein Ehepaar sind. Über die Adlersruhe steige ich weiter ab, wieder vorbei an der Erzherzog-Johann-Hütte und den Mürztaler Steig bis hinab zum Skidepot. Bei meiner Abfahrt zur Hütte treffe ich noch auf vier sympathische Polen, die auf dem Kleinglocknergipfel waren und im Winterquartier auf der Erzherzog-Johann-Hütte übernachteten. Sie beneiden mich um meine Tourenski. Sie selbst sind zu Fuß unterwegs und versinken bei jedem Schritt im tiefen Schnee und müssen heute noch bis ins Tal hinab steigen. Ich hingegen entschied kurzfristig, die kommende Nacht - wenn Platz ist - noch auf der Stüdlhütte zu bleiben. Dann noch mit Rosi telefoniert, eine Suppe und einen Salat gegessen, alles bezahlt und ins Bett gegangen.