Dienstag, 02.05.2006 / Stüdlhütte / Hüttentag wegen Schlechtwetter / Hüttenübernachtung
Am Morgen ca. 20 - 30 cm Neuschnee. Es ist kaum Sicht wegen Hochnebel - dazu sehr warm. Die meisten steigen ab. Zwei Seilschaften, jeweils mit Bergführer, sind zum Großglockner aufgebrochen. Wenn es nicht aufreißt - was ich ihnen wünsche - werden sie keine Freude haben. Nach zwei Stunden kommen sie wieder zurück. Für mich also ein geschenkter Ruhetag. Ich ruhe auch wirklich aus und lese alpine Zeitschriften. Dabei stoße ich wieder auf das tragische Lawinenunglück im Jamtal 1999 und auf Frauke Brunners schmerzliche und zugleich wundervolle Geschichte*11. Zum wiederholtem Mal checke ich mein Equipment und gehe immer wieder in Gedanken zum Gipfel. Von der Hütte weg - über den Ködnitzkeesgletscher- den Mürztaler Steig - die Erzherzog Johann Hütte - das Plateau der Adlersruhe - das Glocknerleitl - der Ausstieg auf den kleinen Sattel in die Ostflanke - der Kleinglocknergrat - der Kleinglocknergipfel - der Abstieg in die Obere Scharte - das Passieren dieser Schlüsselstelle und die nachfolgenden, ausgesetzten Kletterfelsen*12 in luftiger Höhe zum Gipfel. Und anschließend alles wieder zurück. Morgen ist vielleicht der große Tag - er muss es sein. Wenn nicht, wird's langsam eng - zeitlich.
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*11 Frauke Brunner wurde unweit der Jamtalhütte am 28.12.1999 von einer Lawine verschüttet und nach ca. 1¼ Stunden als eine der letzten, lebend und ohne größere Verletzungen, geborgen. Sie schilderte das Ereignis folgendermaßen: "Keinen Millimeter konnte ich mich bewegen, nicht meine Lage verändern Ich hatte Panik, aber ich habe mich rein gefügt in die Übermacht der Natur. Habe gegen die Unruhe gekämpft und gedacht: Du bist jetzt im Zement, was willst du machen? Das ist das Ende. Und: Ahh, so wenig Luft. Dann bin ich eingeschlafen. Das war angenehm. Jetzt fragen mich immer alle Leute, wie schrecklich das Sterben ist und wie man zwei Stunden in der Lawine überlebt. Es ist nicht schrecklich. Aber ich war ganz allein. Die Verbindung zu den anderen fehlte. Meine Botschaft nach draußen: Die sollen mich finden, aber ich wusste nicht, ob die Luft reicht. Ich hatte nur die Ventilation im Lockerschnee, in dem ja auch Sauerstoff ist - es war so wenig. Dieses Wenige habe ich angenommen, dass die Unruhe weggeht. Dann spürte ich die Lawinensonden. Die haben das ganze Bein ertastet. Ich habe das als lästig empfunden, wie Fliegen auf der Haut. Eine Störung auf meinem Weg ins Jenseits. Dann haben sie mein Gesicht freigemacht und ich habe nur geschrien".
*12 Die Kletterroute von der Oberen Scharte bis zum Großglocknergipfel wird in älteren Büchern mit Ib, und in der aktuellen Fachliteratur nach der UIAA-Skala mit dem Schwierigkeitsgrad II - was mäßige Schwierigkeiten und Drei-Punkt-Haltung das heißt konstanter Felskontakt an drei Haltepunkten bedeutet - bewertet. Wie aber allgemein bekannt ist, kann der Schwierigkeitsgrad bei schlechteren Bedingungen, insbesondere bei Hochtouren, ganz erheblich steigen.