Donnerstag, 27.04.2006 / Lucknerhaus / Abgebrochener Hüttenaufstieg / Fahrt nach Lienz / Fahrt durchs Defereggental gen Stallersattel / Gottesdienst in Huben / Biwak am Lucknerhaus
Nach guter Nacht und gutem Frühstück mit heißem Kaffee Equipment gerichtet und alle wichtigen Entscheidungen getroffen. Lasse Ski und großen Fotoapparat da. Habe an alles gedacht - bis jetzt - und auch nichts vergessen. Das Wetter ist nicht optimal - insgesamt zu warm und zu feucht. Deshalb erhöhte Spalten-, Lawinen- und Eis- bzw. Steinschlaggefahr. Aufstieg zur Stüdlhütte - denke ich - unproblematisch. Dort ist vielleicht schon das Ende der Tour, wenn der Untergrund nicht hält, weil zu weich. Bislang noch keine Bergsteiger gesehen - auch kein Auto gekommen - bin wohl ganz allein unterwegs heute. Jetzt 10.00 Uhr. Wetterbericht für heute, entgegen der Prognose, eher schlecht. Gegen Mittag Gewitter. Also dann!
11.30 Uhr. Nach etwa einem Kilometer umgedreht - und zum Auto zurück. Extreme Ausaperung, weil sehr warm, Regen und Hochnebel, so dass es einfach keinen Sinn macht, aufzusteigen. Habe gerade in der Hütte angerufen und das Matratzenlager abgesagt. Jetzt habe ich viel Zeit und muss warten, bis das Tief abzieht. Bin dennoch froh, so entschieden zu haben. Ich meine, es war das Vernünftigste, obwohl mir mittags Zweifel kommen, da sich kurzfristig das Wetter bessert. Am Berg aber geht gar nichts. Gerade kamen zwei Tourengeher-Pärchen zurück - kein Gespräch gesucht. Dafür mittags nach Lienz gefahren und die wichtigsten Sachen wie Milch, Kaffee und Wasser eingekauft. Dabei habe ich viel an die Toten gedacht. Michael Schwär und Andy Beha. Beide*4 drängte es, ihr Leben zu beenden, was sie auch gezielt umsetzten. Ich kann es aber gut akzeptieren und annehmen. "Good Bye Papa - it's hard to dy, when all the birds are singin' in the sky .... / ... Think to me when I'll be there ...". Also, Seasons in the sun, war Michael's Todeslied. Übrigens, ein Vögelchen war - ähnlich wie zu Hause - jetzt schon mehrfach da. Es kommt gerne morgens zum gemeinsamen Frühstück. Mein Schwiegervater hat übrigens - beim Besuch von lieben Vöglein - immer gesagt: "Der Michael war wieder da".
Ich fuhr dann durchs Defereggental hoch Richtung Stallersattel mit Passhöhe auf 2052 Meter. Ich wollte von dort einen Blick auf den Hochgall werfen, mit 3436 M der höchste Berg der Riesenfernergruppe. Noch nie war ich so nah an ihm dran, dachte ich. Aber wenn ich mich an meine frühere Ausbildungszeit erinnere, war ich doch schon mal hier im Pustertal - nämlich im Oberkurs 1976 - vor ziemlich genau 30 Jahren. Ich habe mich damals in ein schönes Mädchen aus Brunneck verliebt - es ihr aber nie erzählt. Als die Schülergruppe damals Richtung Hochgall wanderte, waren Norbert, ein Mitschüler und ich, nicht dabei. Die Berge interessierten uns nicht - ich war um die 20 Jahre alt. Die Staller-Passhöhe ist aber wegen Eis und Schnee mit dem Auto nicht erreichbar - ab Obersee ist die Fahrbahn geschlossen. Ich kehre um. Wollte einen Gottesdienst in St. Jakob besuchen, kam aber zu spät. Hatte dann aber Glück in Huben, wo um 19.00 Uhr eine Hl. Messe war, zu Ehren des Diözesan-Schutzpatrons Petrus Kanisius. Netter Pfarrer - und überhaupt nette Leute, die Tiroler. Die meisten von ihnen saßen hinten, in den letzten Bänken, von denen kein Einziger zur Kommunion ging. Gegen 21.00 Uhr wieder am Lucknerhaus-Parkplatz auf 1900 M Höhe, was gut ist für die Akklimatisierung. Kein Empfangsnetz; ich konnte also nicht daheim anrufen. Bett.
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*4 Michael Schwär war mein Schwager und hat sich 1981 erhängt. Der Chanson "Seasons In The Sun" ist der einzige Anhaltspunkt, den er hinterließ. Andreas Beha war ein Bekannter, bei dessen Trauung ich musizierte und der sich vor zwei Monaten ebenfalls erhängte. Eines seiner Lieblingslieder war "Gold, Platin und Diamant / Mölltaler aus dem Kärntnerland". Beides - das Mölltal und der Suizid - waren mir jetzt räumlich und zeitlich und emotional sehr nah.