"Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf." Textquelle: Das Neue Testament - Einheitsübersetzung
Der Hingabe Jesu durch Gott entspricht als Antwort – Jesu eigene gehorsame Hingabe an den Willen des Vaters – „für uns“. Diese Deutung des Todes Jesu als stellvertretende Lebenshingabe führt uns in die innerste Mitte des neutestamentlichen Zeugnisses. Der Stellvertretungsgedanke greift aber zunächst eine menschliche Grundgegebenheit, nämlich die solidarische Verbundenheit aller Menschen auf. In der hl. Schrift handelt z.B.
Auch das vierte Lied vom Gottesknecht (Jes 53,4-5) bekennt: „Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt ...“. Dieser für die Bibel so zentrale Stellvertretungsgedanke – der für uns heute eher schwer nachzuvollziehen ist – ist besonders geeignet, um im Glauben verständlich zu machen, wie der Tod Jesu für uns Heilsbedeutung haben konnte. Die Folge der Solidarität der Menschen in der Sünde war ja die Solidarität aller im Todesschicksal. Darin zeigt sich vor allem die heil- und hoffnungslose Situation des Menschen. Indem nun Jesus Christus, die Fülle des Lebens, mit uns im Tod solidarisch wird, macht er seinen Tod zur Grundlage einer neuen Solidarität. Sein Tod wird nun für alle, die unter dem Schicksal des Todes stehen, zur Quelle neuen Lebens. Wie die Abendmahlsberichte zeigen, geht die Deutung des Todes Jesu als stellvertretendes Leiden und Sterben im Kern auf Jesus selbst zurück. Auch Mk 10,45 besagt, daß der Menschensohn nicht gekommen ist um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.
Wenn wir also den damaligen Zeitzeugen – insbesondere den Evangelisten und Paulus – Glauben schenken, dann ist Jesus Christus gemäß der Schrift für unsere Sünden gestorben[1] (1 Kor 15,3-4) und wir haben durch sein Blut – dank der Gnade Gottes – die Erlösung (Eph 1,7)[2]. Diese Deutung des Todes Jesu als stellvertretendes Leiden wird im NT immer wieder aufgegriffen und vertieft[3]. In besonderer Weise hat Paulus den Stellvertretungsgedanken aufgenommen und sogar von einem Platztausch zwischen Jesus Christus und uns gesprochen. Er, der Sündlose, sei für uns zur Sünde gemacht worden, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden[4]. So erschließt sich uns das Verständnis vom Tod Jesu – „für uns“ – , wenn wir bedenken, dass er ganz in der Konsequenz seines Lebens – „für uns“ – lag. Darüber hinaus versteht das NT den Tod Jesu als Sühnetod bzw. Opfertod für unsere Sünden. Dieser für uns heute schwer verständliche Gedanke war aber den Juden damals aufgrund des Sühneritus des ‚Sündenbocks‘ und der Hingabe von Opfertieren nicht fremd. Mt und Mk sprechen beim Einsetzungsbericht vom ‚Blut des Bundes‘. Für Joh ist Jesus das ‚Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt‘ (Joh 1,29). Und für Paulus ist er das ‚geopferte Paschalamm‘ (1 Kor 5,7).
Wollen wir den tieferen Sinn des Opfergedankens verstehen, dann müssen wir uns klarmachen, dass es beim Opfer nicht primär auf die äußeren Opfergaben ankommt. Die dargebrachten Opfergaben sind nur als Zeichen der personalen Opferhaltung sinnvoll – diese innere Haltung muss sich freilich äußern und verleiblichen. Bei Jesus wird die personale Selbsthingabe ganz eins mit der Opfergabe – sein Opfer ist ein Selbstopfer – er ist Opferpriester und Opfergabe in einem. So war sein Opfer das vollkommene Opfer, die Erfüllung aller anderen Opfer, die nur schattenhafte Vorausbilder dieses einen, ein für allemal dargebrachten Opfers sind (vgl. Hebr 10,5-10). Durch diese stellvertetende Ganzhingabe wird die Gott entfremdete Menschheit wieder ganz eins mit Gott. So ist Jesus durch sein einmaliges Opfer der eine Mittler zwischen Gott und den Menschen (vgl. 1 Tim 2,5). Ebenso meint auch ‚Sühne‘ etwas völlig anderes, als eine von aussen verhängte Bestrafung. Dort wo ein Mensch – in diesem Fall Jesus – das Böse erfährt, ohne zurückzuschlagen, wo er also die Folgen von Sünde, Verfehlung und Schuld bewußt auf sich nimmt und durchleidet, ohne selbst neues Leiden zu bereiten, vielmehr dort geschieht Sühne. Sühne von Schuld heißt: einen neuen Anfang setzen im Durchleiden von Gewalt und Tod, das den ewigen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt sprengt. Jesus tut dies stellvertretend für uns Menschen, damit wir in seine Nachfolge eintreten können.
In all diesen Aussagen geht es um ein und dasselbe Thema. Sie wollen auf immer wieder neue Weise die zuvorkommende und rettende Liebe Gottes verkünden, die Jesus Christus durch seinen Gehorsam
und durch seine Hingabe stellvertretend für uns ein für allemal ergriffen hat, um so Frieden zu stiften zwischen Gott und den Menschen wie zwischen den Menschen untereinander. In ihm sind die
Entfremdungen, welche die Sünde zwischen Gott und dem Menschen, zwischen den Menschen und im Menschen selbst verursacht hat, wieder geheilt und versöhnt. Deshalb ist jeder aufgerufen, in der
Beziehung zu sich selbst, zu den Menschen und zu Gott, neu anzufangen.
[1] Der Heilscharakter des Todes Christi gehörte also zur Proklamation des Evangeliums vor Paulus (vgl. Röm 6,3). In 1 Kor 15,3-4 begegnet uns das älteste – uns bekannte und überlieferte christliche Glaubensbekenntnis, das vielleicht sogar bis in die Jerusalemer Urgemeinde zurückreicht; aus Stuttg. Kl. Komm. zum NT 7; S 144.
[2] Der Begriff ‚Erlösung hat ganz stark mit ‚los-machen‘ zu tun; stattdessen könnte man auch ‚Befreiung‘ sagen. Jesus bedeutete für die Menschen damals und ebenso für uns heute Freiheit, und zwar in mehrfachem Sinne: frei von äußeren Zwängen, frei vom Tod und frei von der Sünde.
[3] vgl. Joh 10,15; 1 Joh 4,10; 1 Petr 2,21-25; 1 Tim 2,6 u.a.
[4] vgl. 2 Kor 5,21; 2 Kor 8,9.