37 Die biblische Sage

Theologische Arbeit im Fach Altes Testament


Die Erscheinung in Mamre - Gen 18,1-15

"Der Herr erschien Abraham bei den Eichen von Mamre. Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang. Er blickte auf und sah vor sich drei Männer stehen. Als er sie sah, lief er ihnen vom Zelteingang aus entgegen, warf sich zur Erde nieder und sagte: Mein Herr, wenn ich dein Wohlwollen gefunden habe, geh doch an deinem Knecht nicht vorbei! Man wird etwas Wasser holen; dann könnt ihr euch die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen. Ich will einen Bissen Brot holen und ihr könnt dann nach einer kleinen Stärkung weitergehen; denn deshalb seid ihr doch bei eurem Knecht vorbeigekommen. Sie erwiderten: Tu, wie du gesagt hast. Da lief Abraham eiligst ins Zelt zu Sara und rief: Schnell drei Sea feines Mehl! Rühr es an und backe Brotfladen! Er lief weiter zum Vieh, nahm ein zartes, prächtiges Kalb und übergab es dem Jungknecht, der es schnell zubereitete. Dann nahm Abraham Butter, Milch und das Kalb, das er hatte zubereiten lassen, und setzte es ihnen vor. Er wartete ihnen unter dem Baum auf, während sie aßen. Sie fragten ihn: Wo ist deine Frau Sara? Dort im Zelt, sagte er. Da sprach der Herr: In einem Jahr komme ich wieder zu dir, dann wird deine Frau Sara einen Sohn haben. Sara hörte am Zelteingang hinter seinem Rücken zu. Abraham und Sara waren schon alt; sie waren in die Jahre gekommen. Sara erging es längst nicht mehr, wie es Frauen zu ergehen pflegt. Sara lachte daher still in sich hinein und dachte: Ich bin doch schon alt und verbraucht und soll noch das Glück der Liebe erfahren? Auch ist mein Herr doch schon ein alter Mann! Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Soll ich wirklich noch Kinder bekommen, obwohl ich so alt bin? Ist beim Herrn etwas unmöglich? Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen; dann wird Sara einen Sohn haben. Sara leugnete: Ich habe nicht gelacht. Sie hatte nämlich Angst. Er aber sagte: Doch, du hast gelacht." Textquelle: Das Alte Testament - Einheitsübersetzung


Der Wahrheitsgehalt dieser biblischen Sage

Abraham wohnte mit seinen Schwestern und Brüdern in Mamre, ein schon damals bekannter, heiliger Ort, ca. drei Kilometer nördlich von Hebron. Hier bei den heiligen Eichenbäumen fanden sie, die sie fortwährend und ruhelos auf Wanderschaft waren, eine neue Heimat. An diesem heiligen, geheimnisvollen und erholsamen Ortkonnte Jahwe, der befreiende, alleinige und allmächtige Gott Israels erspürt und erfahren werden (Hitze, Sonne, Bäume, Schatten, Wind etc.). Auch Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang im Schatten der heiligen Bäume. Da schaute er auf und auf geheimnisvolle Weise standen plötzlich drei Männer vor ihm. Abraham lud die drei Fremden ein und erwies ihnen seine Gastfreundschaft (altes Motiv der heidnischen Welt). Er ließ Wasser holen, Brotfladen backen und ein zartes, prächtiges Kalb zubereiten. Er bediente und bewirtete die drei Herren überreichlich. Erst später wurde ihm dann durch das Gastgeschenk der drei Fremden, seine unfruchtbare Frau Sarah sollte noch in höherem Alter einen Sohn empfangen, klar, dass es Boten vom Himmel waren, bzw. dass Gott selbst es war, der sich hier offenbarte. Hier kommt die uralte Vorstellung zum Tragen, dass Götter in veränderter Gestalt, z.B. als Menschen, diese Welt besuchen werden.

Diese immer wieder erzählte Geschichte wollte den Zuhörern von damals helfen, ihrerseits im Eichenhain von Mamre das Göttliche zu erspüren und in der heiligen Mahlzeit unter dem Baum, zu der jeder Fremde eingeladen war, sich mit der Gottheit zu vereinigen. Gleichzeitig lehrte sie, dass man im unbekannten Gesicht des Fremden göttliche Gegenwart erkennen dürfe; ja, dass demjenigen Gott am ehesten begegne, wer den Fremden gegenüber handelte wie es das Gastrecht gebot: zuvorkommend, helfend, dienend. Baum, Berg und mittägliche Stille (Naturphänomene) sind Vermittler der göttlichen Offenbarung. Noch wichtiger aber als dieser ‚natürliche Rahmen‘ wird, ähnlich wie beim Exodus, der historische Vorfall. Israel führte seinen Glauben ja nicht auf einen Baum oder einen Berg, sondern auf den geschichtlichen Abraham (und seinen Sohn Isaak) zurück. Zum Glauben Israels fand nicht, wer sich an einen bestimmten Ort begab, sondern wer sich in eine bestimmte Tradition stellte. Erst im Licht dieser Tradition begannen auch Bäume und Berge von Gott zu reden.

Als dann Sarah hörte, dass si8e noch Mutter werden sollte, lachte sie. Ihr Lachen war natürlich begründet. Sie wusste, was möglich war und was nicht. In ihrem Alter noch ein Kind zu empfangen und zu gebären war unmöglich. Und dennoch hatte sie unrecht. Denn der Glaube erwartet seine Zukunft nicht, weil sie wahrscheinlich oder auch nur möglich wäre, sondern weil Gott sie zusagt. Denn Jahwe wäre nicht Gott, wäre ihm etwas unmöglich. Sarah ahnte und erkannte dies zunehmend. Wer (außer eben Gott) konnte den Menschen so durchschauen und seine Herzensgedanken erkennen? Nach dieser Erkenntnis ist jetzt Gott gegenüber das Lachen völlig fehl am Platz. An seiner Glaubwürdigkeit besteht sowieso überhaupt kein Zweifel. Außerdem werden die zukünftigen Ereignisse für ihn sprechen.


Die sprachliche Gestalt einer biblischen Sage

  • Sage geht den Weg des Helden mit / Reise nach innen – Richtung Seele,
  • Sage ist nicht wahr im Sinne faktischer Übereinstimmung historischer Gegebenheiten, sondern als Spiegelung des innersten Wesens des Menschen,
  • Sage gibt Schritte der Reifung und der Selbstwerdung wieder,
  • Erinnerung der Völker – das heißt: Vergangenes das heimlich gegenwärtig bzw. gegenwartsbestimmend ist, wird angeschaut und gedeutet,
  • Sage entspringt den Kräften eines ahnenden, seherischen Verstehens,
  • Sage ist an der Grenzschwelle zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelt. In ihr werden bedeutungsvolle Erfahrungen, inneres Geschehen in archetypischen Bildern verarbeitet und dargestellt (tiefenpsychologische Erkenntnis).