32 Der J-Schöpfungsbericht

Theologische Arbeit im Fach Altes Testament


Adam und Eva im Paradies - Genesis 2,4b - 3,24

"Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, gab es auf der Erde noch keine Feldsträucher und wuchsen noch keine Feldpflanzen; denn Gott, der Herr, hatte es auf die Erde noch nicht regnen lassen, und es gab noch keinen Menschen, der den Ackerboden bestellte; aber Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Fläche des Ackerbodens. Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. 0Der eine heißt Pischon; er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. Das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es auch Bdelliumharz und Karneolsteine. Der zweite Strom heißt Gihon; er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. Der dritte Strom heißt Tigris; er ist es, der östlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Eufrat. Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte. Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben. Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht. Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, so dass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen. Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch. Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander. Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz. Als sie Gott, den Herrn, im Garten gegen den Tagwind einherschreiten hörten, versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott, dem Herrn, unter den Bäumen des Gartens. Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe? Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben, und so habe ich gegessen. Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen. Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens. Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse. Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über dich herrschen. Zu Adam sprach er: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen, und die Pflanzen des Feldes musst du essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück. Adam nannte seine Frau Eva (Leben), denn sie wurde die Mutter aller Lebendigen. Gott, der Herr, machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit. Dann sprach Gott, der Herr: Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt! Gott, der Herr, schickte ihn aus dem Garten von Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er genommen war. Er vertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Kerubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten." Textquelle: Das Alte Testament - Einheitsübersetzung


Argumente gegen die weitverbreitete Meinung, dass die Geschichte von Adam u. Eva in Gen 2/3 von einem fernen, historischen Anfang der Welt u. des Menschen erzählt

In dieser noch älteren Schöpfungsgeschichte (als dem P-Schöpfungsbericht), liegt der Schwerpunkt auf der Erschaffung des Menschen und seiner Lebensordnung (Ehe, Familie, mitmenschliche Gemeinschaft). Zwar ist alles von Gott erschaffen, aber der Mensch scheint noch vor den Pflanzen und Tieren erschaffen worden zu sein und er wird so als Haupt der Schöpfung herausgehoben. Er ist also nicht das Produkt der Natur, sondern der von Gott in die Welt gesetzte Partner Gottes. Der Mensch ist also auf Gemeinschaft hin erschaffen und hat als Ebenbild Gottes Anteil an seiner Herrschaft über die Welt. Ähnlich der Exodus-Erzählung und vielen anderen biblischen Erzählungen, erhebt Gen 2/3 nirgendwo den Anspruch auf eine historische Wirklichkeit. Der Verfasser (Jahwist) hatte hieran überhaupt kein Interesse. Es ging ihm an keiner Stelle und in keiner Weise um das Vermitteln historischer und objektivierbarer Fakten und Informationen, sondern um ganzheitlich erfahrene, dann reflektierte und später ausgesprochene und schriftlich fixierte Grund- und Glaubenswahrheiten. Er verfolgte somit vielmehr philosophische aber auch theologische Ziele. Wie viele Menschen vor (z.B. Gilgamesch-Epos) und nach ihm, versuchte er in seinen Geschichten zu erklären, wie was entstanden und geworden ist. Er erinnerte sich hierbei immer wieder an den Gott, der sich ihnen am Schilfmeer und am Sinai offenbart hatte, und dem das auserwählte Volk überhaupt sein jetziges Leben, seine Heimat und seinen Status zu verdanken hatte (Jahweglaube).

Mit dieser sehr hochstehenden und entwickelten Auffassung vom Göttlichen einerseits, und in der Erinnerung an die Mythen anderer orientalischer Völker andererseits, schilderte der Jahwist so in ‚volkstümlicher‘ Weise den Ursprung des Menschengeschlechts. Er fand Antworten auf diejenigen Fragen, die sich jedem Menschen im Laufe seines Lebens immer wieder stellen. Fragen nach der Welt, dem Leben, dem Leiden und dem Tod, aber auch Fragen zum Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Natur, zur Arbeit, zu den Mitmenschen etc. Er konnte so sein Schicksal und seine irdische Begrenztheit erklären. Hierbei drückte er sich, mit Hilfe der mythischen Sprache, in sehr lebendigen und farbigen Bildern aus. Wie bei Jesus, wenn er vom Reich Gottes in Gleichnissen sprach, sind beim Jahwisten alle archetypischen Bilder seinem damaligen, persönlichen Erfahrungs- und Erlebnishorizont entnommen (Paradies, Ackerboden, Staub, Baum, Früchte, Schlange etc.). Diese sind somit symbolhaft zu verstehen. Die Schlange ist Sinnbild für die gefährliche Macht des Bösen und für die Hinterhältigkeit. Der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse sind Bilder für die nur Gott zukommenden Eigenschaften der Unsterblichkeit und des umfassenden Wissens, über die der Mensch nicht von sich aus verfügen kann, die Gott ihm aber unter Umständen aus Gnade schenkt.

Wie gesagt ist es ein großer Fehler, diese Bilder nach der historischen oder geographischen Wirklichkeit suchend, wissenschaftlich auslegen und begründen zu wollen; ein Fehler, der ja über drei Jahrtausende bis heute gemacht wurde und wird, und der zu gravierenden Fehldeutungen bis hin zu Frauenverachtung und Frauenhass führte. Außerdem muss zwangsläufig bei solchem Vorgehen (‚falscher Schlüssel‘) der Zugang zu den tieferen Wahrheiten dieser Bilder völlig verschlossen bleiben. Der richtige Schlüssel und somit der Zugang zur in Gen 2/3 mythisch geschilderten Wahrheit kann sich, ähnlich der Wahrheit im Traum oder im Märchen, nur auf humanwissenschaftlichem Weg, z.B. mit Hilfe der Psychologie bzw. der Tiefenpsychologie, erschließen. Deshalb steht auch die jahwistische Schöpfungsschilderung in keinerlei Widerspruch oder Konkurrenz zu den, von den Naturwissenschaften entwickelten Erkenntnissen und Theorien (z.B. Evolutionstheorie), sondern muss vielmehr auf der geistig-seelischen Ebene des Nachträumens und Nachmeditierens subjektiv erfahren werden. Ein Verstehen der Bilder ist nur und erst dann möglich, wenn sie personal in Beziehung gesetzt werden und somit eine persönliche Betroffenheit ausgelöst wird.