In vielen oben genannten Merkmalen des mystischen Glaubens kann ich mich mit meinen Erfahrungen und meinen Prinzipien zu leben selbst wiederfinden. Diese persönlichen mystischen Verhaltensweisen konnte ich mir erst in der stillen Betrachtung und Reflexion wirklich bewusst machen. Wie jedoch kam es dazu?
Im Frühjahr 1995 wurde mir meine unangenehme und angespannte Arbeitssituation erst richtig bewusst. Ich war seit Jahren ‚gefangen‘, abhängig von Menschen und hatte große Ängste (Angst davor, das Gesicht zu verlieren / Angst davor, zu versagen / Angst davor, nicht geliebt zu werden). Mein ‚Fall‘ durchlief alle hierarchischen Instanzen eines Krankenhausbetriebs. Erst allmählich wurde mir immer mehr klar, dass ich ganz auf mich allein gestellt und ganz allein kämpfen musste und dass es einen Kampf um Sein oder Nicht-Sein, einen Kampf um Leben oder Sterben bzw. Tod geben würde. Obwohl ich meiner Familie gegenüber große Verantwortung empfand, wäre ich in manchen Situationen froh gewesen, wenn ich hätte sterben können. Meine Lust zu leben war gebrochen. Ich stand dem Tod näher als dem Leben. Dann im Juni 1995 (Wendepunkt der Lebenskrise) wurde ich in einer Situation, in der mir großes menschliches Unrecht widerfuhr und gegen die ich mich nach innen und nach außen aufbäumte, von einer mächtigen, nicht beschreibbaren geistigen Kraft erfasst und durchdrungen (persönliche Interpretation als Bekehrungserfahrung).
Diese Kraft half mir dann, mich zunehmend mit den Waffen der Liebe Jesu Christi gegen die mir widerfahrenden menschlichen Niederträchtigkeiten und Bosheiten (z.B. Lügen, Verachtung, Missachtung, Intrigen, Ausgrenzung, Isolierung etc.) zu wehren. Viele Stunden am Tag, viele Tage in der Woche und viele Monate im Jahresverlauf verbrachte ich während meiner Arbeit in fortwährender Kontemplation allein in meinem Büro. Ich hatte keinen Besuch, keine Kontakte, keine Anrufe, keine Gespräche und so gut wie keine Arbeit. Demgegenüber pflegte ich mit großer Leidenschaft die Kontemplation, das Stundengebet, den Rosenkranz und das Jesusgebet. Die tägliche Eucharistie und das Beten in allen sich ergebenden Alltagssituationen war mir zu einem großen Bedürfnis geworden. Ich fühlte mich aufs engste verbunden mit Menschen wie z.B. Mila Repa, Benedikt von Nursia oder der Prophet Elia, die ja ihrerseits auch das einsame Leben in einer Höhle sehr gut kannten. Die gesamte Zeit dieses ‚Höhlendaseins‘ empfand ich auf allen Ebenen (Gefühls- / psychische- / physische-) sehr intensiv. Immer mehr erkannte ich, worum es in meiner Krise und im Leben überhaupt wirklich ging. Immer mehr fühlte ich mich von Gott berührt und geliebt. Meine Beziehung und mein Vertrauen zu ihm wuchs so enorm, dass er mir sogar die Bürde der Feindesliebe auflasten konnte und ich ihm gegenüber trotzdem große Dankbarkeit empfinden konnte.
Im November 1997 sollte dann diese ‚Lebenskrise‘ ihren Höhepunkt erreichen. In einem Schlüsselerlebnis, auf welches mich Gott vorbereitete und welches ich erwartete und worauf ich mich dann in völliger Freiwilligkeit einzulassen hatte, wurde mir dann – im Bilde gesprochen – der Boden meiner Existenz unter den Füssen weggezogen. Seit langer Zeit hielten in diesem Konflikt sowieso nur noch meine Frau und meine Kinder zu mir. Jetzt, in dieser sowohl bedrängenden als auch befreienden Situation fühlte ich mich voll und ganz auf Gott geworfen. Ich fühlte mich so eng wie nie zuvor mit ihm verbunden. Ich vertraute ihm total und bedingungslos und musste von jetzt an seinen Willen als aktiv Kämpfender umsetzten. Dieser Weg führte dann über weitere Leidensprüfungen zur Selbstbefreiung. Beruflich nahm man mir in der Folgezeit alles weg was ich hatte und demütigte mich immer wieder vor meinen eigenen Schülern. Es kam wiederholt zu äußerst erniedrigenden Situationen, in die ich völlig bewusst, völlig freiwillig und ganz alleine hineinzugehen hatte. Die Kraft hierfür konnte ich nur aus der geistigen Verbundenheit mit meinem Freund und Vorbild Jesus Christus, in der geistigen Verbundenheit mit seinem Leid und seinem Gottvertrauen, schöpfen. Es waren dies für mich die erschreckensten aber auch die am meisten den inneren Frieden stiftenden Momente in meinem bisherigen Leben.
Diese Erfahrungen und Lebensprüfungen, oft dachte ich an Ijob, sollten bis zum Dezember 1998 anhalten. Ich besprach alles immer wieder mit meinem Beichtvater, weshalb bin ich mir absolut sicher, nicht aus irgendwelchen masochistischen Trieben heraus gehandelt, sondern dem Willen Gottes und seinem Geist entsprechend, so gut ich es eben in der jeweiligen Situation vermochte, ohne Bedingung meinerseits Folge geleistet zu haben. So erlebte ich Gott persönlich als wirklich und einzigartig befreiend und versuche jetzt, nachdem er mir quasi das Leben neu geschenkt hat, wirklich in seiner Liebe und nach seinen Weisungen zu leben. Hierzu gehören für mich folgende persönliche Lebensziele: