„Geht man davon aus, dass die Götzenverehrer in dem Irrtum oder irrigen Bewußtsein leben, ihre Götterbilder seien der wahre Gott oder in ihnen verehrten sie den, den sie für den wahren Gott halten, dann haben sie nicht nur einen gerechten, oder besser gesagt wahrscheinlichen Grund, ihre Religion zu verteidigen, sondern sie sind sogar vom Naturrecht her dazu verpflichtet. Würden sie das nicht tun und nicht sogar ihr Leben für die Verteidigung ihrer Religion, ihrer Götterbilder und Götter wagen, würden sie eine Todsünde begehen und aufgrund derer in der Hölle landen …, denn wir Menschen sind alle verpflichtet, Gott zu lieben und zu dienen … . Es gibt hier keinen Unterschied in der Verpflichtung zwischen denen, die vom wahren Gott wissen, also uns Christen, und denen, die nicht von ihm wissen, aber irgendeinen Gott für den wahren halten … . Ich hatte noch angeführt, dass Gott ja auch dem Abraham befahl, seinen Sohn zu töten, und das Argument des Herrn Doktor, Gott habe dem Opfer letztendlich nicht zugestimmt, überzeugt nicht. Ich frage ihn: Warum befahl Gott ihm das Opfer? Doch sicher bei allem Geheimnisvollen nicht nur zur Probe des Gehorsams seines Dieners, sondern auch, um zu verstehen zu geben, dass wir ihm alles schulden. Und wenn er am Ende nicht mit der Tötung einverstanden war, dann aufgrund des Entgegenkommens seiner unendlichen Güte und wegen seines Mitleids mit Isaak. Diese Überlegung wird doch auch belegt durch die Entscheidung des Jephta, die Opferung seiner Tochter zu vollziehen … . Die gewaltlose Methode also ist der von Gott eingesetzte richtige Weg und die göttliche Form, das Evangelium zu predigen und die Seelen zu bekehren, und nicht das, was der Herr Doktor meint … . Und wenn sich auf friedlichem Weg die Gläubigen in Westindien nicht gleich in diesem Jahr bekehren, dann soll Gott, der für sie gestorben ist, sie eben im Jahr darauf bekehren oder in zehn Jahren. Der ehrwürdige Doktor muss doch nicht danach streben, eifriger als Gott selbst zu sein und sich bei der Bekehrung der Seelen mehr zu beeilen als Gott selbst. Es sollte doch dem Herrn Doktor reichen, so gut wie Gott zu sein, ist doch Gott der Meister und der Herr Doktor nur der Schüler. Der ehrwürdige Doktor Sepúlveda sei also zufrieden, den Weg zu verkünden, den Christus, unser Gott, eingesetzt hat, und soll nicht einen anderen Weg erfinden, der vom Teufel und dessen Nachahmer und Apostel Mohammed in die Welt gesetzt worden ist und so viel Gewalt und Blutvergießen zur Folge hat.“
Textquelle: Der Textauszug stammt aus einem Bericht von Bartolomé de las Casas (1484 – 1566) über die Disputation mit Sepúlveda in Valladolid 1550. (Aus Seminarunterlagen – KG A 12 von Dr. Barbara Henze).
Über die Art, wie man auf unbekannte Kulturen zugehen sollte, gab es zu allen Zeiten unterschiedliche Ansichten. VetreterInnen einer „harten“, gewalttätigen Mission standen denen gegenüber, die für „Akkomodation“ oder eine „weiche“ Linie plädierten. Vertreter der letzteren Position mussten sich mit dem Argument auseinandersetzen, dass Barbarentum (es geht dabei um Menschenopfer) bei den zu missionierenden unmöglich toleriert werden dürfe. Las Casas propagiert und begründet die gewaltlose Methode, indem er an das souveräne Handeln Gottes in Gen 22,1-19 – Abrahams Opfer – erinnert und hierbei diese Erzählung wie folgt auslegt: Trotz des Opferbefehls geht es nicht in erster Linie darum, Abrahams Gehorsam Gott gegenüber zu prüfen, sondern darum, dass wir lernen zu verstehen, dass wir ihm letztendlich alles schulden. Mit anderen Worten gesagt: Vom Anfang an bis zum Schluss liegt unser Leben fest in seiner Hand. Wir sind ihm nicht ausgeliefert, sondern in seiner Sanftmütigkeit und unendlichen Gütigkeit schenkt und erhält er auf seine Weise wunderbar das Leben – in diesem konkreten Fall das Leben von Abrahams Sohn Isaak. In ihm dürfen wir uns geborgen und sicher fühlen. In seiner geheimnisvollen Wesenhaftigkeit ist er weder grausam noch gewalttätig, sondern zutiefst friedliebend und gutmütig.
Sein Ansatz lässt sich vom Evangelium her, vor allem vom friedliebenden Verhalten Jesu Christi und seinem Liebesgebot her, welches in völligem Widerspruch zu dem der Eroberer stand, verstehen. Die Missionierung ging einher mit Eroberung und Gewalt. Zwischen dem verkündeten Evangelium und dem tatsächlichen Verhalten der Eroberer lagen Abgründe. Die Missionierten erlebten die ‚christlichen Missionare’ – meist Portugiesen und Spanier – als unmenschliche Ausbeuter und Unterdrücker, oft sogar als räuberische Verbrecher und Mörder.
Des weiteren beeinflusste Las Casas ein persönliches Bekehrungserlebnis, als er während einer Predigtvorbereitung die Textstelle bei Jesus Sirach 34, 24-27 liest. Daraufhin schenkt der Priester, Indianerdolmetscher und Plantagenbesitzer seinen Sklaven die Freiheit und wird zum leidenschaftlichen Vertreter der Menschenrechte und zum christlichen Fürsprecher der indianischen Ureinwohner. Von nun an prangert er die Morde, die grausamen Misshandlungen, die Unterdrückung und die Ausbeutung an, die spanische Kolonialisten an der indianischen Bevölkerung begehen. Von nun an kämpft er für die Rechtsgleichheit (Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit) aller Rassen und Menschen.
Eines ist mir – und hoffentlich auch allen anderen – ganz klar. Gewalt darf in diesem Zusammenhang niemals mehr eine Option, auch nicht eine allerletzte, sein. Das II. Vatikanischen Konzil betont, dass nicht nur den Bischöfen und Priestern, sondern allen Christen (Laien) die Pflicht auferlegt ist, durch das Führen eines tiefchristlichen Lebens an der Entfaltung und dem Wachstum des ‚lebendigen Leibes Christi’ mitzuwirken, damit dieser so bald wie möglich zur Vollgestalt gelange[1]. Somit sind die Laien aufgerufen, am Evangelisierungswerk der Kirche mitzuwirken und haben sowohl als Zeugen, sowie als ‚lebendige Werkzeuge Gottes’ Anteil an ihrer heilbringenden Sendung. Alle Menschen aller Völker sollen zur Erkenntnis der Wahrheit geführt werden. Die Herrlichkeit Gottes, die im Antlitz Jesu Christi erstrahlt soll durch den Heiligen Geist allen aufleuchten.
Somit fühlen auch wir uns von Gott eingeladen und möchten diesen ganz persönlichen Weg auch mit ihm in Liebe gehen. So wie er sich um jeden von uns kümmert und sorgt, so werden auch wir versuchen in gleichem Sinn an unseren Mitmenschen zu handeln. Er erwartet, dass wir uns mit unseren Gaben und Fähigkeiten aktiv ins kirchliche und auch politische Gemeindeleben einbringen. So sollen auch wir zum Licht für andere werden. Die ist m.E. nur möglich und glaubwürdig, wenn wir uns die Person Jesu Christi, so wie ihn die Evangelientexte schildern, noch stärker zum Vorbild nehmen, so dass wir bezüglich unseres Verhaltens und unserer Eigenschaften, ihm immer ähnlicher werden. Alles muss freiwillig geschehen, nichts darf ‚übergestülpt’ werden. Ein gutes, vorgelebtes[2], friedfertiges Lebensbeispiel, freilich mit allen persönlichen Stärken und Schwächen, aber stimmig in Wort und Tat, ist m.E. das entscheidende und wichtigste.
Hinzu kommen dann die oft verloren gegangenen, grundsätzlichen Werte wie Offenheit, Toleranz, Hilfsbereitschaft, den Anderen ernst nehmen, ihn wertschätzen, seine menschliche Würde beachten und
ihm in Liebe begegnen. Begegnungen in diesem Geist hätten, wie im Evangelium von Jesus Christus vorgelebt, einen Aspekt von Ganzheitlichkeit und von verwirklichtem Reich Gottes[3].
So gesehen beinhalten die Stellungnahmen des II. Vatikanischen Konzils für jeden getauften Christen zunächst eine ganz persönliche Chance und Herausforderung, den Dialog mit den Mitmenschen und
Nichtchristen zu wagen. Jedem eröffnen sich – dort, wo er gerade hingestellt ist[4] – vielerlei Handlungs- und
Gestaltungsspielräume.
[1] Vgl. Eph 4,13.
[2] Bedeutet hier, dass ich mir meiner christlichen Vorbildfunktion in den verschiedenen Dimensionen meines menschlichen Lebens bewusst bin und ihr bewusst nachkomme.
[3] In einem Gebet von den Fidschiinseln heißt es: „Herr Gott, mir ist das Gute aufgetragen: dein Werk zu vollenden, Frieden zu bringen, Gutes zu tun, der Wahrheit zu dienen, dein Wort zu leben, wo immer ich bin, wo immer ich sein werde.“
[4] Z.B. Familie, Arbeitsplatz, pastorale Gruppen der Kirchengemeinde, Gruppen der politischen Gemeinde, Freizeitgruppen z.B. Sport, Verbände, Gremien, Vereine, Arbeitsgruppen, Medien etc.