Ausschlaggebend waren die Erkenntnisse und Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils. Alle Länder der Erde wurden aufgerufen, ihren Ort in der Gesellschaft zu suchen. Auch in Lateinamerika erfolgte eine neue Ortsbestimmung / Ist-Analyse der Kirche – lateinamerikanische Bischofskonferenzen von Medellin (1968) und Puebla (1979) – angesichts von Verelendung, Unterdrückung, Ausbeutung und massenhaftem Leid. Die Analyse und Betrachtung der Bibel entdeckte und erkannte folgende Aspekte wieder neu:
Diese Erkenntnis gab der Basis neues Selbstbewusstsein und neue Motivation, sich selbst bei den vielfältigen Befreiungsprozessen des lateinamerikanischen Volkes, im Sinne von Christen zu engagieren. Ort dieses Engagements war und ist die Basisgemeinde, wo Christen regelmäßig zusammen kommen, gemeinsam Gottesdienst feiern, zusammen beten und ihr alltägliches Leben im Licht des christlichen Glaubens zu verstehen suchen (Theoretische Reflexion). Auch versuchen sie, sich ihre Situation der Unterdrückung gemeinsam bewusst zu machen und sie als Gemeinde zu verändern. Aus solchen Basisgemeinden heraus, in denen auch die meisten der maßgebenden Befreiungstheologen leben und mitarbeiten, ist die Theologie der Befreiung entstanden.
Die Kirche muss öffentlich – für alle sichtbar und spürbar – vorrangig und konsequent für die Armen, nicht für die Reichen, Partei ergreifen (Option für die Armen[1]). In letzter Konsequenz muss sie freilich auch bereit sein, ihre eigenen Strukturen kritisch zu überdenken und ggf. zu verändern.
Die Kirche muss den Menschen die Frohbotschaft so verkünden, dass sie heute, hier und jetzt eine Befreiung in ihrem persönlichen Lebensbereich – z.B. von Elend und Leid, von persönlicher und gesellschaftlicher Sünde – erfahren.
Ich nenne hier nur einzelne, aber m.E. entscheidende und sehr wichtige Beispiele.
[1] Die Begründung ist theologisch, christologisch, ekklesiologisch, eschatologisch und apostolisch (s. CG B 13).
[2] Es sind die Opfer unserer konsum- und profitorientierten Industrie- / Leistungs- und Wegwerfgesellschaft; z.B. Obdachlose, Asylsuchende, Langzeit-Arbeitslose, Behinderte, chronisch Kranke, psychisch Kranke, Sexuell Misshandelte, Vergewaltigte, Drogen- / Alkoholabhängige, Inhaftierte, Prostituierte etc.