7 Der unfruchtbare Feigenbaum


Seit drei Jahren keine Frucht - Hau ihn um

Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - LK 13,6-9

 

"Er sagte ihnen dieses Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der in seinem Weinberg gepflanzt war. Und er kam, suchte Frucht an ihm und fand keine. Er sagte zum Weingärtner: Da! Drei Jahre sind es, dass ich komme, Frucht an diesem Feigenbaum suche und keine finde. Hau ihn heraus! Wozu schwächt er auch noch die Erde? Der aber hob an und sagt ihm: Herr, lass ihn noch dieses Jahr, bis ich um ihn herum gegraben und Mist zugelegt habe. Vielleicht dass er in Zukunft doch Frucht bringt? Wenn aber nicht – dann solltest du ihn heraushauen."


Predigt in der Fastenzeit 2007


Er lebt - Er treibt Knospen und will wieder blühen

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn,

ein interessantes und eindrückliches Bild, das uns Jesus heute vor Augen stellt. Da hat einer in seinen Weinberg einen Baum – einen Feigenbaum eingepflanzt. Israel, das auserwählte Volk Gottes, wird im Alten Testament häufig mit solch einem Baum verglichen. Es erhält so noch mal eine letzte Chance – die Chance zur Umkehr. Selbstverständlich erwartet der Herr des Weinbergs, dass der neue Baum Früchte bringt. Möglichst gute und viele. Wozu hätte er ihn sonst gepflanzt? Aber genau dies geschieht ganz offensichtlich nicht. Überhaupt nichts geschieht. Der Baum bleibt ohne eine einzige Frucht. Und das nunmehr schon seit drei Jahren. „Jetzt aber – jetzt reicht’s! Jetzt hauen wir ihn um! Was soll er auch noch dem Boden seine Kraft nehmen?“ Oder? Ist doch logisch und konsequent. Wenn der Baum seine Bestimmung verfehlt, hat er hier auch nichts verloren. Also weg mit ihm – und zwar schnell.

Im Blick auf Israel und auf Andere können wir dem sicher schnell zustimmen. Was ist aber, wenn es dabei um mich selbst und mein Leben, um meine Arbeit und meine Familie, geht?

  • Soll ich meinen Arbeitsplatz verlieren, nur weil ich vielleicht schon länger krank bin?
  • Soll ich meinen Mann verlieren, nur weil ich vielleicht keine Kinder bekommen kann?
  • Soll ich vielleicht ins Altenheim, weil ich der Familie nur noch zur Last falle und – im Sinne unserer Leistungsgesellschaft – zu nichts mehr nützlich bin?
  • Soll ich mein Leben lang gestraft sein, weil ich schwach war – vielleicht einen entscheidenden Fehler gemacht habe?

Jesus nimmt in Kauf, dass der Baum Kraft kostet und anstrengend ist – besonders für sein Umfeld. Es geht nicht alles leichtfüßig und folgerichtig. Oft sind die Dinge kompliziert. Und oft kommt es auch ganz anders als erwartet. Aber, mal ehrlich – können wir eine Überraschung wirklich gänzlich ausschließen? Warum sollen wir vorschnell das böse Ende, das dem Baum zweifellos blüht, wenn er sich nicht bekehrt – warum sollen wir es vorwegnehmen? Noch einmal hilft uns hier der Blick auf Jesus in diesem Beispiel. Für ihn ist das Ende völlig offen. „Vielleicht – wer weiß – bringt er ja doch noch Frucht?“ Zumindest schließt Jesus dies nicht von vornherein aus. Und er gibt somit dem positiven Ende eine neue Chance. „Herr, lass ihn auch bitte dieses Jahr noch stehen, damit ich um ihn herum graben und ihn düngen kann.“ Nicht nur, dass Jesus dem Baum zusätzlich Zeit schenkt. Nein – er will sich jetzt auch noch um ihn bemühen. Sogar in ihn hinein, auf eine verborgene Hoffnung hin, investieren. Die Hoffnung, dass der Baum zu guter Letzt doch noch die eine oder andere gute Frucht hervorbringt.

Ganz offen gesagt, diese Hoffnung habe ich schon auch, dass sich da jemand um mich kümmert und mich nicht abschreibt, wenn’s mir mal richtig schlecht geht. Dass ich jemanden habe, der mich stärkt, wenn ich mich schwach fühle. Der mir beisteht, wenn ich von Anderen ausgenutzt wurde. Menschen zu haben, denen ich vertrauen, denen ich etwas anvertrauen kann. Menschen, Freunde, die mich nicht gering, sondern wertschätzen. Die mich so nehmen, wie ich halt bin, gerade auch mit meinen ‚Kanten und Ecken‘ und Schwächen. Das wäre schön. Das täte mir gut.

Jesus gibt dem Baum noch eine Chance. Die Betonung liegt unmissverständlich auf ‚eins‘ – eine Chance. Also dieses eine Jahr noch – mehr aber nicht. In dieser Zeit ist alles möglich und das Ende – völlig offen. Die Hoffnung aber – sie keimt aus seiner Großzügigkeit. Und genau diese Großzügigkeit ist auch wiederum unsere Chance.

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

eines aber dürfen wir dem Feigenbaum nicht nachsagen – dass er feige ist. Das ist er nämlich gerade nicht. Und deshalb – mal ganz ehrlich: Warum sollen nicht auch wir genauso großzügig wie Jesus sein? Gerade jetzt, in dieser Zeit der Besinnung, und der Vorbereitung, hin auf Ostern. Warum nicht demjenigen etwas Zeit schenken, der mich enttäuscht hat? Mich um den mühen, der mir das Leben schwer macht? In den hinein investieren, der es scheinbar nicht wert ist? Und letztlich auch – warum nicht demjenigen verzeihen, der mich verletzt hat? Die hieraus erwachsenden Früchte sind köstlich und bringen Freude und Glück in Fülle, was uns auch der Weinbergbesitzer – Gott selbst – von ganzem Herzen wünscht. Nicht erst im Himmel, sondern schon jetzt und hier auf Erden. Mein Freund – der Baum – er ist noch nicht tot. Er lebt, er treibt neue Knospen, er will blühen. Und ganz bestimmt trägt er nächstes Jahr neue und gute Früchte. Amen.