Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - MK 10,2-12
"Und Pharisäer kamen zu ihm und fragten ihn, um ihn zu versuchen: Ist es dem Mann erlaubt, die Frau zu entlassen? Er hob an und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose angewiesen? Sie sprachen: Mose hat gestattet, einen Entlassungsbrief zu schreiben und sie zu entlassen. Jesus aber sprach zu ihnen: Auf eure Herzensstarre hin schrieb er euch diese Weisung. Von Uranfang der Schöpfung her aber hat er sie männlich und weiblich gemacht. Deswegen wird der Mann seinen Vater und die Mutter verlassen und an seiner Frau haften. Und es werden die zwei zu einem Menschen. Also sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Mensch. Was nun Gott zusammengespannt hat, das darf der Mensch nicht trennen. Im Hause befragten ihn die Jünger abermals darüber. Und er sagt zu ihnen: Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, bricht ihr gegenüber die Ehe. Entlässt sie aber ihren Mann und heiratet einen anderen, bricht sie die Ehe."
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus Jesus,
Es war einmal - eine Bauerntochter. Sie hatte gerade - es war ein wunderschönes Fest - geheiratet. Doch - mit den Jahren - gab es häufig Streit - der Alltag wurde schwer. Da sagte der Mann: „Frau, es ist besser, wenn wir uns trennen. Wenn du aber willst, kannst du das Liebste und das Beste aus dem Haus mitnehmen“. Die Frau wartete - und als ihr Mann eingeschlafen war, holte sie den Nachbarn. Beide trugen sie den Schlafenden in die Kutsche und fuhren davon. Als nun der Mann erwachte, fragte er: „Wo bin ich? Was ist passiert?“ Sie antwortete: „Du hast doch selbst gesagt - ich kann das Liebste und Beste was ich habe, mitnehmen - und das habe ich getan“. Da stiegen ihm die Tränen in die Augen, weil er plötzlich seine eigene Blindheit erkannte und spürte, wie groß die Liebe seiner Frau zu ihm tatsächlich war. Da nahm er sie in seine Arme und beide begannen aufs Neue, ihr Leben miteinander zu teilen.
Wie in diesem Märchen der Königssohn, durfte nach jüdischem Recht auch ein Mann seine Frau entlassen, dann, wenn er an ihr etwas Anstößiges entdeckt (DTN 24,1). Er stellte ihr einfach eine Scheidungsurkunde aus und schickte sie aus dem Haus. Die Ehescheidung war also erlaubt, sie musste nur rechtmäßig sein. Das heißt, die Gründe, die der Mann vorbrachte, mussten eine Scheidung rechtfertigen. Und genau darüber entschieden jetzt die Schriftgelehrten. Mit anderen Worten: Die Frauen waren der Willkür der Männer total ausgeliefert.
Dieser Zustand wird nun von Jesus völlig zurecht als egoistisch und ungerecht kritisiert. Dabei beruft er sich auf den Anfang des Schöpfungsberichts im Buch Genesis (GEN 1,27) wo es heißt: Gott hat den Menschen als sein Ebenbild – als Mann und als Frau – hat er sie erschaffen. Von Anfang an also die volle und gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Mann und Frau / die ausschließliche und untrennbare Bindung aneinander durch lebenslange Treue und Liebe / die ‚Einswerdung‘ der Partner („sie werden ein Fleisch“), so wie es am Anfang war und so, wie es eigentlich sein sollte / genau diese Bindung ist des Schöpfers Wille, und nur diese Bindung wird von ihm gesegnet. Deshalb fordert Jesus – und er spricht hier als Rabbi mit göttlicher Vollmacht: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“. Folglich hat der Mensch nicht das Recht, diese Verbindung aufzulösen. Tut er es dennoch, begeht er Ehebruch.
Dies gilt in der katholischen Kirche – entgegen dem gesellschaftlichen Trend – bis zum heutigen Tag. Ohne Kompromisse. Die Jünger damals, vielleicht auch wir heute, sind entsetzt und stellen Fragen; wird doch diese Forderung (nach lebenslanger Treue) von Vielen als Überforderung, als unmenschlich und als nicht mehr zeitgemäß empfunden.
In Antoine de Saint-Exupéry‘s Erzählung, die sehr gerne von Ehepaaren bei ihrer kirchlichen Trauung gewählt wird, sagt der schlaue Fuchs zum kleinen Prinzen: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du Dir vertraut gemacht hast“. Was soviel bedeutet wie: Im Lauf der Zeit haben wir uns - bei aller Individualität und Verschiedenheit - immer besser kennen und lieben gelernt. So sehr, dass wir unser Leben nun teilen / unsere Zukunft miteinander planen / unsere gemeinsame Liebe leben und gestalten / und uns gegenseitig die Treue versprechen wollen. Und mit der Kraft Gottes und seinem Segen hoffen wir - ein Leben lang. Dadurch erhält alles nochmal einen ganz anderen und viel tieferen Sinn. Kurzum – es ist der Beginn eines neuen, gemeinsamen Glücks.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Gott wünscht jedem Paar – wie auch wir alle – ganz viel Lebensfreude und gemeinsames Glück. Vor allem auch, dass das, was sie sich selbst wünschen, in Erfüllung gehen, und ihr Leben insgesamt gut gelingen möge. Dafür wird er sich mit seiner ganzen Kraft und seiner ganzen Liebe einsetzen. Als JAHWE, der immer da ist und da sein wird, und das Paar begleiten wird, auf all seinen Wegen, ganz egal wohin diese sie führen / am Abend / am Morgen / in der Nacht / und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Schön, wenn man sich in einer Beziehung – wie die kluge Bauerntochter – sagen kann: Du bist mir das Liebste / du bist mir wertvoll – und wichtig / Dir kann ich vertrauen. So wie du bist, so nehm ich dich an – mit deinen guten und auch mit deinen weniger guten Seiten. Schön, wenn beide füreinander da sind und füreinander sorgen – wie es im Ritus heißt – in guten und in bösen Tagen. Gerade dann, wenn‘s mal nicht so rund läuft / wenn man sich aufgerieben hat / oder wie der Königssohn, gar den Durchblick verliert. Dann wünscht man sich den Geist und die Tatkraft der klugen Bauerntochter, die ideenreich, engagiert und kreativ dafür sorgt, dass die gemeinsame Liebe nicht zerbricht, sondern weiterlebt und eine neue Zukunft hat.
Und so – liebe Schwestern, liebe Brüder – steckt dann auch in jedem Kuss / in jeder Zärtlichkeit / in jeder Umarmung / in jedem Lächeln / und auch immer dann, wenn wir bereit sind, einander zu vergeben und zu verzeihen, ein Stück von diesem Glück. Dort nämlich ist das Glück, wo die Liebe ist. Die, die nicht prahlt, oder ihren Vorteil sucht, sondern die, die sich freut an der Wahrheit / die, die alles erträgt, alles glaubt und allem standhält. Deshalb – lasst all eure Dinge in Liebe geschehen, denn die Liebe hört niemals auf, so der Apostel Paulus.
Denkt aber bitte immer daran: Ihr seid zeitlebens für das verantwortlich, was ihr euch vertraut gemacht habt. Amen.