Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - JOH 20,1-10
"Am ersten Wochentag aber, früh – noch dunkel war es – kommt Maria aus Magdala zum Grab und erblickt den Stein vom Grab weggenommen. Sie läuft also und kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, dem Jesus Freund war, und sagt zu ihnen: Den Herrn haben sie aus dem Grab genommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Also zogen Petrus und der andere Jünger hinaus und gingen zum Grab. Die beiden liefen zugleich. Der andere Jünger aber lief schneller – Petrus voraus – und kommt als erster zum Grab. Und er bückt sich hinein und erblickt die Leinentücher liegen – hinein aber ging er nicht. Nun kommt – ihm folgend – auch Simon Petrus. Und er ging ins Grab hinein. Und er schaut: Die Leinentücher lagen da, aber das Schweißtuch, das auf seinem Kopf war, lag nicht bei den Leinentüchern, sondern abseits, zusammengewickelt an einem Platz. Dann kam auch der andere Jünger herein, der als erster ans Grab Gekommene; er sah und glaubte. Allerdings hatten sie die Schrift noch nicht verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse. So gingen die Jünger wieder nach Haus."
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus Jesus,
was war geschehen? Jesus – verurteilt, hingerichtet, von allen verlassen, verraten und verleugnet – war tot. Nur die Frauen – die, die ihn auch zu Lebzeiten begleiteten, folgten ihm bis ganz zum Schluss; bis unter das Kreuz – und bis zum Grab. Maria, die Mutter des Jakobus, Salome, und Maria von Magdala, aus der er einst sieben Dämonen austrieb. Sie verdankte ihm alles – ihre Gesundheit, ihre Freiheit, ihr ganzes Leben – und so wurde sie eine seiner treuesten Jüngerinnen. Deshalb zog es sie auch als erste hinaus zum Grab. Sie wollte sich vergewissern, ob das, was geschehen war – das, was eigentlich gar nicht hätte geschehen dürfen, überhaupt wahr war.
Als sie aber das Grab leer fand, konnte sie es sich nicht erklären, woraufhin sie zu Petrus lief und ihm alles erzählte. Dieser machte sich sofort mit dem anderen Jünger auf den Weg und konnte alles nur bestätigen. Ja, das Grab war leer. Und weil auch die Jünger noch nicht verstanden, gingen sie wieder heim.
Maria aber kehrte zurück und weinte. Das leere Grab ließ ihr einfach keine Ruhe. Und während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. Diese sagten zu ihr: „Frau, warum weinst du?“ Sie antwortete ihnen: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“ Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen.“ Jesus sagte zu ihr: „Maria!“ Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: „Rabbuni!“ das heißt: Meister. Jesus sagte zu ihr: „Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: „Ich habe den Herrn gesehen.“ Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte (Joh 20, 11-18).
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder,
die tiefe, innere Beziehung zwischen Maria und Jesus, ihre Liebe und ihre Dankbarkeit, ließen sie zum leeren Grab zurückkehren. Aber weder die jetzt anwesenden Engel, noch der vermeintliche Gärtner, konnten ihr in ihrer Not weiterhelfen. Erst als sie des ‚Gärtners‘ Stimme hört, eine vertraute Stimme, die sie mit ihrem eigenen Namen anspricht, ändert sich alles und sie erkennt den Auferstandenen. Das eine Wort „Maria“ genügt. Jetzt wendet sie sich ihm zu und antwortet: „Rabbuni“ mein Meister. Auch ihr genügt ein einziges Wort.
Jetzt hat die Suche nach dem Leichnam ein Ende. Der Bann des Todes ist gebrochen – Marias Blindheit für die Zeichen der Gegenwart Gottes verflogen. Jetzt sieht und erkennt sie den auferstandenen Jesus und vollzieht so die Wende vom Tod zum Leben. Bis zum bitteren Schluss hatte sie ausgeharrt. Jetzt aber kann sie sein neues Leben nicht nur wahrnehmen und erkennen, sondern selbst auch ein ganz neues Leben mit ihm beginnen.
Als sie aber versucht, Jesus anzufassen, wehrt dieser ab und sagt: „Halte mich nicht fest!“ Nur zu menschlich ist es, das anzufassen, das festhalten zu wollen, was man liebt – uns geht es ja genauso. Jedoch – der Auferstandene wird nicht mehr in den Körper des Verstorbenen zurückkehren. So, wie Jesus vor der Kreuzigung war, wird Maria ihn nicht wiederbekommen. Das – so bitter es ist – musste sie erst begreifen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Maria Magdalena wurde so – gleichsam mit dem Jünger, den Jesus liebte – die erste Auferstehungszeugin; Die Apostola Apostolorum, wie der Kirchenvater Hippolyt von Rom sie schon im 2. JH n.Chr. nannte und auch Papst Franziskus vor zwei Jahren bestätigte – die Apostelin der Apostel. Statt des toten Leichnams fand sie den lebendigen Jesus, der zu Gott hinauffuhr und nun überall in der Welt mit seinem heiligen Geist wirkt. Wo sich seine Gegner sicher waren, Jesus ein Ende gesetzt zu haben, genau da setzte Gott einen neuen Anfang. Jesu Wort, Jesu Tat, Jesu Geist gelten von nun an universal. Und überall dort, wo aus dem Tod neues Leben entsteht – überall, wo Skepsis überwunden wird – überall, wo Traurige wie Maria neuen Mut schöpfen, da ist Gottes guter Geist am Werk.
Als ich vor einigen Jahren bei einer Beerdigung in Lenzkirch war, fragte ein kleines Mädchen – es war etwa vier bis fünf Jahre alt – seine Mutter: „Mama, wo ist Oma jetzt?“ Die Mutter antwortete: „Im Himmel.“ Daraufhin sagte das Mädchen: „Gott sei Dank! Ich dachte schon, die Oma ist tot.“
Welch kluge Antwort des Kindes, die den gesamten, christlichen Auferstehungsglauben wiederspiegelt. „Ich bin die Auferstehung“, sagt Jesus, und meint damit eben keinen Zustand, sondern eine Beziehung zwischen ihm und jedem von uns ganz persönlich. Und wer diese Beziehung pflegt, lebt in der Gemeinschaft mit Gott, der stärker ist als der Tod, und der gerne alle Menschen auf der ganzen Erde erreichen möchte.
Das Kind hat nämlich vollkommen recht. Die Oma ist nicht tot. Sie ist im Himmel – sie lebt bei Gott. Amen.