Textquelle: Das Alte Testament - Einheitsübersetzung 2017 - HEB 11,1-2.8-19
"Glaube aber ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht. Aufgrund dieses Glaubens haben die Alten ein gutes Zeugnis erhalten. Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde. Aufgrund des Glaubens siedelte er im verheißenen Land wie in der Fremde und wohnte mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung, in Zelten; denn er erwartete die Stadt mit den festen Grundmauern, die Gott selbst geplant und gebaut hat. Aufgrund des Glaubens empfing selbst Sara, die unfruchtbar war, die Kraft, trotz ihres Alters noch Mutter zu werden; denn sie hielt den für treu, der die Verheißung gegeben hatte. So stammen denn auch von einem einzigen Menschen, dessen Kraft bereits erstorben war, viele ab: zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meeresstrand, den man nicht zählen kann. Im Glauben sind diese alle gestorben und haben die Verheißungen nicht erlangt, sondern sie nur von fern geschaut und gegrüßt und sie haben bekannt, dass sie Fremde und Gäste auf Erden sind. Und die, die solches sagen, geben zu erkennen, dass sie eine Heimat suchen. Hätten sie dabei an die Heimat gedacht, aus der sie weggezogen waren, so wäre ihnen Zeit geblieben zurückzukehren; nun aber streben sie nach einer besseren Heimat, nämlich der himmlischen. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, er schämt sich nicht, ihr Gott genannt zu werden; denn er hat ihnen eine Stadt bereitet. Aufgrund des Glaubens hat Abraham den Isaak hingegeben, als er auf die Probe gestellt wurde; er gab den einzigen Sohn dahin, er, der die Verheißungen empfangen hatte und zu dem gesagt worden war: Durch Isaak wirst du Nachkommen haben. Er war überzeugt, dass Gott sogar die Macht hat, von den Toten zu erwecken; darum erhielt er Isaak auch zurück. Das ist ein Sinnbild."
Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde,
bei einer Bergtour am letzten Wochenende in Österreich kam ich mit meiner neunköpfigen Gruppe zum sogenannten Leibersteig. Wir mussten dort quer durch eine drahtseilversicherte Wand ca. 800 Höhenmeter hinabsteigen. Zwei Verhaltensregeln waren hier entscheidend. Erstens – eine gute Konzentration. Denn – bei mangelnder Konzentration erhöht sich sehr schnell die Fehlerquote. Verliert man seine Schwindelfreiheit oder überfällt einen gar die Angst, so sind die Folgen für Leib und Leben meist höchst ungesund. Und zweitens – ein sicheres Auftreten. Denn – Trittunsicherheit erhöht die Absturzgefahr. Nicht nur das eigene-, sondern das Leben der Anderen wird unmittelbar gefährdet. Das Auslösen von Steinschlag ist eine der häufigsten Todesursachen in den Bergen. Konzentration, Trittsicherheit und Feststehen, das heißt festen Boden unter die Füße bekommen, sind also die wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen einer Bergtour.
Der Verfasser des Hebräerbriefs spricht heute auch von Trittsicherheit und Standfestigkeit. Er versucht seiner Gemeinde zu erklären, was christlicher Glaube ist. Glauben, sagt er, ist: „Feststehen in dem was man erhofft.“ Die Christen erhofften damals das baldige Kommen ihres Herrn. Dies trat aber so nicht ein. Es sollte alles ganz anders kommen. Denn – schon wenige Jahre nach Jesu Tod wurden sie verfolgt – nicht wenige aufgrund ihres Glaubens gefoltert und hingerichtet. Unsicherheit, Müdigkeit und Angst machte sich breit. Viele verloren ihre Standfestigkeit. Trotzdem aber – so mahnt der Schreiber – ist unser Glaube weder mit feigem Zurückweichen noch mit Gleichgültigkeit zu vereinbaren. Auch nicht mit Schwäche oder gar Resignation. Und wer seinen Glauben verteidigen will, wer gegen alle widrigen Umstände durchhalten muss, der braucht etwas, worauf er sich stützen und stellen kann; der braucht ein festes, tragendes Fundament. Brüchiger Fels hält nicht, ein schlecht sitzendes Steigeisen verrutscht, ein locker gemachter Seilknoten öffnet sich. Daran hängt – im wahrsten Sinn des Wortes – des Bergsteigers Leben. Zugegeben, ein gewisses Restrisiko existiert immer – zum allergrößten Teil aber hast du es selbst in der Hand. Und gerade deshalb ist unser Glaube eben nicht nur blindes Vertrauen – oder irgendein subjektives Gefühl. Es ist vielmehr die Verknüpfung unseres Glaubens mit dem sichtbaren Handeln Gottes an uns Menschen. Und gerade deshalb werden hier unsere Urväter als Vorbilder im Glauben genannt.
Allen voran Abraham und seine Frau. Abraham folgt bedingungslos dem Ruf Gottes. Er lässt alles, seine Habe, seine Familie, seine Heimat zurück, ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Ein sehr waghalsiges Unternehmen – ohne jegliche Versicherung. Anders gesagt: Ein Exodus auf Leben und Tod. Die Zeit, zurück zu schauen, die hat Abraham nicht. Immer nur nach vorne blicken, in die von Gott gewiesene Zukunft. Er glaubt, er vertraut, ja er hofft, dass sein zukünftiges Leben mit Gottes Hilfe immer besser gelingen wird. Abraham vertraut und glaubt selbst dann noch, als die Geschehnisse um ihn herum immer unbegreiflicher, ja eigentlich unglaublich erscheinen. Sein seit langem größter Wunsch, Vater eines Sohnes zu werden, wird ihm von Gott zugesagt. Sarah wird bald fragen: „Wie soll denn das geschehen, wo ich doch schon so alt bin?“ Mit den gleichen Worten wird Maria später den Engel fragen: „Wie soll denn das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“
Betroffenheit, Erstaunen, Fassungslosigkeit dort, wo Gott beruft und in menschliches Leben eingreift. Freilich auch bei uns – bei mir. Wenn wir in unser eigenes Leben zurückschauen, können ja müssen wir doch mit Maria bekennen: „Der Herr hat Großes – auch an uns getan.“ Wie oft wünschte ich es so – aber es kam ganz anders. Subjektiv betrachtet vielleicht sogar viel schlimmer. Erst viel später erkannte ich: So wie es tatsächlich kam, war es besser, sinnvoller.
Weil – Gott hat ‚seine Finger im Spiel gehabt‘. Das alte Sprichwort – hier stimmt es: „Der Mensch denkt, und Gott lenkt.“ Mehrere meiner engsten Mitarbeiter in der Klinik sind Muslime; in den entscheidenden Glaubensfragen z. B. der Einstellung zum Leben, den Wertevorstellungen, der Liebe zum Nächsten, den Erziehungsfragen sind wir meist einer Meinung. Warum? Weil wir den gleichen Ursprung haben. Abraham ist unser gemeinsamer Stammvater. Ob also Muslime, Christen, Juden oder andere Religionen – entscheidend sind nicht die Lippenbekenntnisse – entscheidend ist immer das konkrete Verhalten, die Lebensweise, die Tat.
Die Gefahren bei einer Bergtour im Hochgebirge sind vielfältig: Wetter, Steinschlag, Gletscherspalten, Absturz, Erschöpfung, Orientierungslosigkeit. Die Gruppe vertraut den Entscheidungen des Bergführers. Sie glaubt an ihn. Selbst weiß sie unter Umständen gar nichts. Erst wenn man dann getrost auf der Berghütte in Sicherheit ist, wenn nichts passiert ist und man abends zusammen isst, dann wissen und freuen sich alle und sagen: „Ja, so war‘s gut und richtig.“ Und genau so hat auch der Glaube kein anderes Fundament, als sich selbst. Die Garantie, besser gesagt, die Wahrheit unseres Glaubens liegt in Gottes Wort und in seiner Realisierung durch uns. Glaube ist etwas, was unsere Existenz, unser Menschsein im tiefsten inneren berührt. Denken wir nur an Giovanni Don Bosco, Edith Stein, Mutter Teresa. Hier ist der Glaube lebendig, praktisch. Hier wird er gelebt und weitergegeben. Hier ist etwas, was ausstrahlt und begeistert. Die Sache Jesu braucht echte Begeisterte, wie es auch in dem eingangs gesungenen Lied heißt.
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus Jesus,
als George Mallory, ein berühmter Bergsteiger, einmal gefragt wurde, warum er denn auf Berge steige, sagte er: „Weil sie da sind.“ Das stimmt freilich, aber etwas ganz Entscheidendes kommt noch dazu: Hier wirst du ganz und gar auf dich selbst geworfen – ähnlich, wie in der Wüste oder im Kloster. Hier wirst du, durch die Konzentration deiner Sinne und Bedürfnisse auf das Wesentliche – auch eine Beziehung zum Wesentlichen, das heißt zu dem, was in deinem Leben wirklich wichtig ist – entwickeln. Zum Beispiel dein Atmen, deine Balance zwischen Ruhe und Belastung, dein Ess- und Trinkverhalten, deine Angst, dein Mut. Dies alles hat wesentlich auch mit unserem Glauben zu tun. Jesus war in diesem Sinne – davon bin ich überzeugt – aus den gleichen Motiven heraus ja auch ‚Bergsteiger‘. Sein mit Abstand schwierigster Gipfel – Golgatha, vor den Toren Jerusalems.
Zum Schluss noch eine ganz persönliche Geschichte: In den 1980er Jahren lernte ich auf meiner Pflegestation einen Pater kennen. Er war unheilbar an Krebs erkrankt und musste sehr lange Leiden und Siechtum ertragen. Er war ein ausgesprochen heiterer und fröhlicher Mensch. Er lachte und erzählte gerne. Sein Name war – Pater Wesseloh aus dem Jesuitenkolleg in St. Blasien. An seinem letzten Lebenstag – wir wussten dies vorher aber nicht – war sein Mitbruder, der Abt Primas zu Besuch. Den ganzen Nachmittag waren sie zusammen und als nun der Abt abends gehen wollte, sah er, dass es ihm sehr schlecht ging. „Heinz, ich kann dich doch jetzt nicht alleine lassen“, sagte er. Aber Pater Wesseloh schickte ihn seines Weges mit den Worten: „Ich bin nicht allein. Ich habe auch keine Angst.“ „Endlich ist es soweit – Er wird kommen und mich nach Hause führen – Ja, er ist schon da“. Letzteres konnte er nicht mehr sagen. Aber – ich weiß – er hat es gedacht. Nach weniger als einer Stunde war Pater Wesseloh tot. Diese tiefe Erfahrung, dass der Herr bei mir ist, dass er mich begleitet und führt, nicht nur in der Sterbestunde, sondern heute und morgen und an allen Tagen meines Lebens, in Freud und Leid – diese Erfahrung wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen. Amen.