39 Maria & Elisabet


Maria stand auf und machte sich auf den Weg

Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - LK 1,39-45

 

"Maria aber stand auf in diesen Tagen, machte sich bereitwillig auf den Weg ins Gebirge, nach einer Stadt in Juda. Sie trat in das Haus des Zacharias und bot Elisabet den Friedensgruß. Und es geschah: Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib, und Elisabet wurde voll heiligen Geistes. Und sie rief mit gewaltigem Schrei und sprach: Du Gepriesene unter den Frauen! Gepriesen auch die Frucht deines Leibes! Und von woher geschieht mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn da! Als laut ward dein Gruß in meinen Ohren, hüpfte jubelnd das Kind in meinem Leib. Ja. selig ist, die geglaubt hat, dass zur Vollendung komme, das ihr vom Herrn Gesagte!"


Predigt in der Adventszeit 2016


Maria & Elisabet

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

dem Evangelisten Lukas verdanken wir verschiedene wertvolle Überlieferungen, die sich in den anderen Evangelien nicht finden. Seine vorweihnachtlichen Verkündigungstexte sind voll von Begegnungs-Erzählungen. Gabriel begegnet Zacharias im Tempel. Gabriel begegnet Maria in ihrer Wohnung. Die Hirten begegnen dem göttlichen Kind im Stall. Simeon und Hanna begegnen dem Jesuskind im Tempel. Maria begegnet Elisabet im Haus des Zacharias. Gott will jedem einzelnen Menschen persönlich begegnen. Er lässt sich dort erfahren, wo Begegnung – wie bei Maria und Elisabet – gelingt.

Maria machte sich also auf den Weg und eilt in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie soll – von Gabriel zugesprochen – die Mutter des lang erwarteten Messias sein. Keine Spur von Stolz oder Hochmut, obwohl diese Haltungen durchaus verständlich wären. Trotz ihrer einzigartigen Berufung ist sie sich nicht zu gut, jetzt ihrer Verwandten zu Hilfe zu kommen. Ähnliches können wir auch an Elisabet erkennen. Auch sie fühlt sich von Gott berufen und von ihm auserwählt. Denn auf wunderbare Weise ist sie – noch in hohem Alter ‚fruchtbar geworden‘. Auch sie hätte – menschlich gesprochen – allen Grund, sich bedienen, sich hofieren zu lassen. Noch dazu ist sie die Ältere, die Verheiratete und die Frau eines Priesters. Gegen allen Brauch neigt sie sich vor Maria, der Jüngeren, dem noch nicht heimgeführten Mädchen und begrüßt die gesellschaftlich viel tiefer Stehende, als Mutter ihres Herrn. Beide nehmen einander aufmerksam wahr und sagen sich gegenseitig Gutes. Sie gehen miteinander so um, dass jede sich bei der anderen gut aufgehoben weiß, dass Lasten gemeinsam getragen werden können, und die Gemeinschaft untereinander bezogen wird, auf etwas verbindendes Drittes. Die gemeinsame Freude und das Vertrauen auf Gott, angesichts des neuen Lebens, das sich ‚innen drinnen‘ gemeldet hat, und vor äußeren Anfeindungen geschützt werden muss. So gesehen ist die Begegnung der beiden Schwangeren auch die erste Begegnung zwischen Johannes und Jesus.

Maria und Elisabet lassen sich also nicht bestimmen von ihrer Größe, oder ihrer Bedeutung, ja noch nicht einmal von ihrer einmaligen Berufung her. Zwei Frauen, die ganz einfach und menschlich einander vertrauen, offen sind, sich gegenseitig wertschätzen. Zwei Frauen, die sich ineinander hineinfühlen und in schlichter Rücksichtnahme aufeinander zugehen. Schlichte Rücksichtnahme auf den Anderen öffnet die Sinne. Deshalb ‚spürt’ Elisabet, wie sie vom heiligen Geist erfüllt wird – und – wenig später, wie das Kind in ihrem Leib ‚hüpft’. Elisabeth ist feinfühlig für die Wirklichkeit. Genau darum kann sich etwas in ihr ereignen, und genau darum kann sie Maria auch wirklich begegnen.

Und Maria? Auch sie will nicht nur einfach zu Besuch kommen, sondern sie ist bereit und fähig, bei Elisabeth anzukommen und sie bei sich ankommen zu lassen. Wie sonst hätte sie drei Monate bleiben können? Bleiben können setzt hier Vertrauen und Hoffen voraus. Die gute Hoffnung, dass etwas von selbst wächst – beschützt und behütet zwar, aber doch ohne unser aktives Mittun. So dürfen auch wir einen bestimmten Teil unseres Lebens dem Bleiben, dem Warten, dem Glauben und dem Hoffen widmen. Gerade jetzt in der Adventszeit, will Gott auch uns wieder heimsuchen.

Er steht vor unserer Tür und klopft an. Bin ich genügend offen? Kann ich mich von meinen festgefahrenen Ideen und Vorstellungen lösen? Kann ich jenen Raum – jenen Frei-Raum – schaffen, damit der Andere einziehen, damit er bei mir ankommen kann? Bei mir selbst ist es immer wieder so, dass ich für eine Begegnung, insbesondere nach einem harten Arbeitstag, einfach nicht mehr die Kraft habe – manchmal nicht einmal mehr für ein Telefongespräch. Der Andere muss dann draußen bleiben – ich bin im wahrsten Sinne des Wortes ‚Besetzt’. Vom Terminkalender, von Sorgen, Ängsten, Wünschen, Einstellungen – von all dem, was mir vermeintlich wichtig ist. Gott sei Dank gibt es aber auch die gegenteilige Erfahrung.

Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde,

genau hier liegt auch die Verbindung zum Weihnachtsfest. Weihnachten ist das Fest der Begegnung Gottes mit uns – im Menschen Jesus Christus. Die Voraussetzung dafür bei Gott ist, dass er klein wird und nicht auf seiner Position beharrt, sondern sich für uns öffnet, sich uns anvertraut, sich auf uns einlässt, an uns glaubt. Wo wir quasi ‚mitspielen‘ und uns auf diesen Gott einlassen, da wird diese Begegnung gelingen.  Wo Menschen aber nicht aufeinander zugehen, sondern nur auf sich selbst bezogen sind, da bleiben sie isoliert und leben bestenfalls nebeneinander, häufig aber auch gegeneinander. Gott und Mensch können nur zueinander kommen, wenn sich beide auf das Wagnis dieser Begegnung einlassen. Gott wagt diesen Schritt – immer wieder neu – und genau das feiern wir jetzt. Das Fest kann aber nur stattfinden, wenn auch wir dazu bereit sind. Dann bricht auch in unserer Mitte etwas vom Weihnachtsjubel auf. Wo wir Gott erfahren in unseren alltäglichen, menschlichen Begegnungen. Wo Gottes Geist zum Vorschein kommt – als die Güte, die Gerechtigkeit, der Friede und die Kraft, die unserem ganzen Leben einen tiefen Sinn gibt. So ereignet sich Weihnachten immer dann, wenn Menschen zueinander kommen und ihre Begegnung gelingt. Amen.