Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - MK 10,17-27
"Als er sich auf den Weg hinaus begab, lief einer herbei, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Lehrer! Was soll ich tun, um unendliches Leben zu erben? Jesus sprach zu ihm: Was heißt du mich gut? Keiner ist gut, nur einer: Gott. Du kennst die Weisungen: Morde nicht; brich die Ehe nicht; stiehl nicht; gib kein Trugzeugnis; raube nicht; ehre deinen Vater und die Mutter! Er aber sagte zu ihm: Lehrer, auf das alles habe ich seit meiner Jugend geachtet. Jesus aber blickte ihn an, gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines mangelt dir. Geh, verkaufe was du hast, und gib den Armen! So wirst du einen Schatz im Himmel haben. Dann auf, folge mir! Dem aber wurde es düster bei diesem Wort, und betrübt ging er weg; denn er hatte viele Güter.
Und ringsum blickend, sagt Jesus zu seinen Jüngern: Wie schwer doch die Reichbegüterten in das Königtum Gottes hineinkommen! Die Jünger schauderten ob seiner Worte. Und abermals hebt Jesus an und sagt zu ihnen: Kinder, wie schwer ist es, in das Königtum Gottes hineinzukommen! Leichter ist es für ein Kamel durch das Nadelöhr durchzukommen, als für einen Reichen in das Königtum Gottes hineinzukommen. Sie aber waren über die Maßen bestürzt und sagten zueinander: Wer kann da noch gerettet werden? Jesus blickt sie an und sagt: Bei Menschen – unmöglich! Aber nicht bei Gott. Denn alles ist möglich bei Gott."
Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde,
da kommt also ein Mann auf Jesus zu und fragt, „Guter Meister, was muss ich tun, um in den Himmel zu kommen“, und wird daraufhin von Jesus erst einmal heftig kritisiert. Was nennst du mich gut? Keiner ist gut – außer dem einen – Gott. Ein Mann, der’s immer gut gemeint, sich ein Leben lang bemüht, alle Gebote befolgt, untadelig und fromm gelebt hat, erfährt, dass ihm noch eine Sache – allerdings eine ganz entscheidende – fehlt. Eine die ihn tief verletzen, ja schockieren wird. Denn – betrübt und traurig ging er weg.
Heißt das nun für uns, liebe Schwestern und Brüder, dass wir diesem Jesus nur nachfolgen können, wenn wir arm sind? Unser ganzes Hab und Gut den Armen schenken und all das, was wir uns mühsam in all den Jahren und Jahrzehnten erarbeitet haben, aufgeben? Einfach so – von einer Sekunde auf die andere? Also – sowas kann doch nun wirklich keiner ernsthaft verlangen. Das ist doch einfach irreal und schlichtweg ganz und gar unmöglich. Offen gesagt, diese Art des Redens Jesu von der Armut, macht uns, wie den Jüngern im Text, erstmal ernsthafte Schwierigkeiten. Sie waren empört, erschrocken und bestürzt.
Immer wieder gab es aber auch Menschen, die dieser Einladung Jesu tatsächlich gefolgt sind, und darin ihre ganz persönliche Berufung erkannten. Frauen und Männer, die Zeugnis ablegten für ihren Glauben und damit die Welt und die Kirche nachhaltig veränderten. Ignatius, Elisabeth, Mutter Teresa, Bruder Benedikt und viele andere mehr. Auch Franziskus und seine Mitbrüder – Minderbrüder nannten sie sich, verzichteten ganz bewusst auf allen Reichtum, um – in einer Zeit, in der die Kirche die Armen zu vergessen schien – sich genau für diese einzusetzen; also um des Evangeliums willen. Dort im Lukasevangelium heißt es nämlich: „Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Wanderstab und keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und kein zweites Hemd.“ Und genau diese Stelle wurde dann auch zu ihrer Lebensregel und – bis heute haben sich die Franziskaner diesen einfachen und bescheidenen Lebensstil bewahrt. „Dem Evangelium soll weder etwas hinzugefügt, noch weggenommen werden“, so Bruder Franz. Und auch der aktuelle Papst, Stellvertreter Christi und Nachfolger Petri, ist hierin ein überzeugendes Beispiel und authentisches Vorbild. Der Platz der Kirche muss auf der Seite der Armen sein.
Auffällig dabei aber ist, dass Jesus dieses ‚Alles-Verlassen‘ nicht von Allen fordert. Viele – vor allem Frauen und Freunde, hatten ihn und seine Jünger unterstützt. Lazarus beispielsweise, und Marta und Maria. Bei ihnen in Bethanien war er gerne Gast, hat mit ihnen gegessen, getrunken und sich ein wenig ausgeruht. Folglich geht es also weniger darum, dass jeder Christ zum Bettler wird, sondern, dass – nichts bzw. gar nichts – mich von diesem Jesus trennen soll. Im heutigen Evangelium war es der Reichtum, der den zweifelsohne frommen Mann daran hinderte, sich ganz auf Jesus einzulassen.
Und – liebe Schwestern und Brüder, was ist es bei mir / bei uns? Hindernisse und Fesseln gibt‘s gerade genug. Vielleicht auch das Geld, oder der Beruf, das Hobby, der Schönheitswahn, der Fernseher, der Computer, der Alkohol? Vielleicht aber auch meine Trägheit und Langeweile – und – und – und? Auch wir müssen uns fragen: Hat Gott in meinem Leben – in meinem Alltag – genügend Raum? Spüre ich seine Nähe noch? Vernehme ich seinen Anruf an mich noch? Höre ich noch seine Stimme? Deshalb – und genau das ist die heutige Einladung Jesu an uns ganz persönlich – überprüfe jeder sich selbst, was ihn in seinem Leben von ihm abhält, was ihn bindet und fesselt. Mit anderen Worten, was uns so abhängig macht, dass wir nicht mehr frei sind, das Gute zu tun.
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus Jesus,
was uns hierbei aber helfen wird, ist, dass Jesus uns immer wieder ganz liebevoll anschaut und uns ermutigt, diese Fesseln loszulassen, um uns wieder ganz neu auf ihn einzulassen. „So komm erneut und folge mir nach – ich bin bei dir. Und mein Weg wird dich letztlich zum Heil, zum ewig-bleibenden Schatz im Himmel führen.“
Denken wir dabei an die Fischer einst vom See – oder an Matthäus vom Zoll – oder an Niklaus von der Flue - der so radikal und dennoch liebevoll-vertrauend beten konnte: „Herr – nimm alles von mir, was mich hindert zu dir – gib alles mir, was mich fördert zu dir – nimm mich mir, und mach mich ganz zu eigen dir.“ Amen.