Textquelle: Das Alte Testament - Einheitsübersetzung 2017 - RÖM 8,35.37-39
"Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? Doch in alldem tragen wir einen glänzenden Sieg davon durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, 39 weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn."
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus Jesus,
es lohnt sich, am letzten Tag des Jahres, noch mal ganz persönlich, zurückzuschauen. Was habe ich erlebt – an Schönem? Was an Traurigem – vielleicht auch Schmerzlichem? Jeder von uns ist heute Abend da, mit seinen ganz persönlichen Lebenserfahrungen – im Guten, wie im Leidvollen. Andere wissen davon häufig nichts oder nur bedingt – und vielleicht sollten, oder wollten, sie auch davon nichts wissen. Bei mir ist es so, wenn ich traurig bin, bin ich am liebsten für mich allein. Ich mach es gerne mit mir selber aus, obwohl ich genau weiß, dass das nicht immer richtig und gut ist. Meine Freude hingegen – die teile ich gerne mit Anderen.
So möchte ich Ihnen von meinem schönsten Erlebnis in diesem Jahr – ja ich glaube schon sagen zu können, vom vielleicht schönsten Erlebnis meines Lebens – kurz erzählen. Es war, obwohl erst ein dreiviertel Jahr her, wie ein Traum. Unsere vierwöchige Reise nach Nepal – zu den höchsten Bergen der Welt, und zu den Ärmsten der Armen der Welt. Mein jüngster Sohn Christoph begleitete mich. Als wir an einer Stelle, wo wir nicht damit rechneten, zum ersten Mal den Mount Everest sahen, war der Moment so emotional – wir haben beide geweint. Die Einheimischen nennen diesen Berg ‚Chomolungma‘, was so viel bedeutet wie ‚die Mutter Göttin der Erde.“ Die Bergnatur erleben und erkunden zu dürfen, ist seit vielen Jahren mein größtes Glück – auch meine größte Kraftquelle. Meine tiefgründigsten Selbst- und auch Gotteserfahrungen machte ich hier, in der Ausgesetztheit, in der Einsamkeit, in der Reduktion und Konzentration der Sinne auf das Wesentliche in meinem Leben. Und ganz in diesem Sinn – also aus den gleichen Motiven heraus – war Jesus selbst auch Bergsteiger. Denn immer, wenn er von dort zurückkam, hatte er wieder einen klaren Blick, wie’s weitergehen wird in seinem Leben, hatte er wieder neue Kraft und neuen Mut.
So sind auch die Berge im Himalya für die Menschen, die dort leben, mystisch und heilig. Beides, Bergnatur und Mensch, gehören zusammen und sind untrennbar miteinander verbunden. In unseren Augen sind die Menschen dort einfach und arm. Sie haben keine Industrie, kaum Infrastruktur, kaum Bildung – noch immer sind die Hälfte der Bevölkerung Analphabeten – so gut wie keine Medikamente und kaum eine medizinische Versorgung und vieles mehr. Viele von Ihnen wissen heute noch nicht, von was sie morgen leben sollen. Und trotzdem lachen sie und freuen sich – und – sie sind in hohem Maße auch gastfreundlich und dankbar. Ihre Bereitschaft, untereinander zusammenzuhalten, einander zu helfen, die Schwachen zu unterstützen und sie mit einzubeziehen, ist sehr groß. Christoph und mich hat das tief beeindruckt. Wir bestaunten und bewunderten diese Menschen.
Nun auch mein – im wahrsten Sinne des Wortes schmerzlichstes Erlebnis. Ich schildere es aber so kurz wie möglich. Im Sommer hatte ich – einfach gesagt – einen kranken Hals. Ich konnte über eine Woche weder schlucken noch sprechen und wäre, hätte man mir nicht helfen können, an Exsikkose und Nierenversagen gestorben. Für mich persönlich wäre das nicht weiter schlimm. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ganz im Gegenteil. Dem zu begegnen, dem man ein Leben lang nachgefolgt ist, das ist doch ein großer Augenblick und eine große Freude – ganz besonders für uns Christen. Denn, so sagte es Paulus einmal: "In der Erkenntnis Jesu Christi ist alles andere in meinem Leben sinnlos und ohne Bedeutung". Und – eins ist gewiss – Paulus weiß, wovon er spricht. Alle, in seinem Brief an die Römer geschilderten Leiden hat er selbst am eigenen Leib erlebt. Bedrängnis, Not, Verfolgung, Kälte, Hunger und auch das Schwert. Im zweiten Korintherbrief schreibt er sogar davon, dass er oft in Todesgefahr war.
Und jetzt frage ich Sie – wo stehen Sie, wo stehen wir – heute? In Anbetracht von Krieg, Terror, Gewalt, Fremdenhass, Folter, Hungersnöten, Seuchen, Arbeitslosigkeit, Tierquälerei, Umweltzerstörung – um nur ein paar Probleme zu benennen? Was könnten wir tun? Was könnte Gott tun? Und – wieso greift er denn nicht endlich ein, vor allem dann, wenn es Unschuldige wie ganz häufig eben auch Kinder betrifft? Alle schnellen Antworten und Erklärungsversuche scheinen hier zu scheitern. Deshalb versprach ein berühmter Theologe des 20. Jahrhunderts, er werde nach seinem Tod im jüngsten Gericht alle von Gott gestellten Fragen gerne und geduldig beantworten. Aber er werde an diesen Gott dann auch deutliche Fragen betreffs des Leidens so vieler unschuldiger Menschen stellen – und – er werde auf einer Antwort beharren. Bei Paulus hat man hingegen das Gefühl, dass er diese quälenden Fragen nach dem Sinn des Leidens bereits hinter sich gelassen hat, wenn er sagt: „Nicht aus eigener Kraft, sondern in der Kraft der Liebe Christi“, was so viel heißt wie: Nur durch die tiefe, innere Verbundenheit mit diesem Christus – eben auch und gerade im Leid – hab ich‘s geschafft. Glück und Leid liegen also ganz oft ganz eng beisammen – so eng, wie das Gehen auf einem messerscharfen Grat am Berg.
Nun – liebe Schwestern und Brüder, was können wir nun mitnehmen ins neue Jahr? Was können wir uns vornehmen? Anstöße zum Nachdenken und zur Veränderung gibt es viele. Zwei Tage vor Weihnachten fand Papst Franziskus in seinem Jahresrückblick wieder einmal klare und ehrliche Worte. Er sprach von Krankheiten wie Geldgier, Eitelkeit, Machtstreben, Exhibitionismus, Karrieremacherei, Arroganz, Hartherzigkeit, Pessimismus, Geschwätzigkeit – wörtlich sprach er vom Terror des Geschwätzes, als einer Krankheit von Feiglingen. Eigentlich – so dachte ich für mich – sind es Forderungen und Ziele, die nicht nur für die Kurie bzw. die Kirche im engeren Sinn, sondern für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit gelten sollten. Franziskus ist kein Wundermann – aber ein wunderbarer Mensch, schrieb dazu einer in seinem Leserbrief.
Gute Vorsätze sind also wichtig, wobei auch hier, weniger – und es dann durchhalten – mehr ist. Wir könnten aber auch – und dazu lade ich Sie herzlich ein – einfach die Erkenntnis des Apostels mitnehmen, dass nichts, aber auch gar nichts, uns von der Liebe Gottes trennen kann. Eine großartige Erfahrung und Verheißung, die auch ich Ihnen von Herzen wünsche und in deren Licht wir jeden Tag im neuen Jahr wieder als Geschenk Gottes annehmen und gestalten dürfen. Amen.