Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - MT 1,18-24
"Mit Jesus des Messias Ursprung aber war es so: Verlobt war seine Mutter Maria dem Josef. Noch ehe sie zusammenkamen, ward gefunden, dass sie im Schoße tragend war von heiligem Geist. Josef aber, ihr Mann – rechtlich wie er war, und doch nicht gewillt, sie anzuprangern – beschloss, sie im stillen zu entlassen. Jedoch, als er dieses Sinnes geworden – da! Ein Engel des Herrn erschien ihm im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, ängstige dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen. Denn: Das in ihr Gezeugte – aus Geist ist es, dem Heiligen. Einen Sohn wird sie gebären, und du sollst seinen Namen Jesus rufen, das heißt: „Gott rettet.“ Denn: Retten wird er sein Volk aus seinen Sünden. All dies ist geschehen, damit erfüllt werde das vom Herrn durch den Propheten Gesprochene, der sagt: Da! Die Jungfrau wird im Schoße tragen und wird gebären einen Sohn. Und seinen Namen wird man rufen Immanuel, das heißt übersetzt: „Mit uns ist Gott.“
Als Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie der Engel des Herrn ihm befohlen. Er nahm seine Frau zu sich."
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
ein junger Mann ist bis über beide Ohren in seine ebenso junge und hübsche Freundin verliebt. Das ganze Leben noch vor sich, schmieden sie Pläne, für eine gemeinsame Zukunft. Bald wollen sie heiraten. Er wünscht sich mindestens zwei, drei oder noch mehr Kinder und ist bereit, alles mit ihr zu teilen. Ein glückliches Leben, eine gesunde Familie, und noch was. Ein Häuschen will er ihr bauen – er ist nämlich Zimmermann. Dann auf einmal muss er befremdet feststellen, dass seine Verlobte schwanger ist. Schwanger? Von wem? Von ihm aber nicht – das war klar. Denn sie waren ja noch gar nicht zusammengekommen. Was für eine Katastrophe? Welche Demütigung? Welche Enttäuschung für diesen jungen Mann?
Im Vergleich zu anderen Personen – zum Beispiel Maria – ist Josef in den Schriften eher eine Randfigur – spielt kaum eine Rolle. Bei den Evangelisten Markus und Johannes wird er überhaupt nicht erwähnt. Kein einziges, von ihm gesprochenes Wort ist irgendwo überliefert. Überliefert ist aber, wie er in Anbetracht seiner misslichen Lage gehandelt hat.
Nun – was konnte er tun? Maria Vorwürfe machen? Sie bloßstellen? Sein Recht einfordern – vielleicht gar öffentlich? Klar war auch – Recht hätte er gehabt. Das jüdische Gesetz hätte mit Maria kurzen Prozess gemacht. Es wäre ihr schlecht ergangen – Verstoßung und Steinigung drohten ihr. Josef wusste dies. Er wollte es aber nicht. Er beschließt, um sie nicht bloßzustellen, sich in aller Stille von ihr zu trennen. Es geht ihm also weder um Selbstgerechtigkeit oder gar Rache, sondern darum, dass auch Maria irgendwie sauber und anständig aus der, auch für sie peinlichen Angelegenheit, herauskommt. „Josef ist gerecht“, so der Evangelist – er will Gerechtigkeit, auch für Maria. Nach heutigem Verständnis handelt ein Mensch gerecht, wenn er dem allgemeinen Rechtsempfinden entspricht. Die Bibel aber versteht hierunter etwas völlig anderes. Nämlich gerecht ist ein Mensch dann, wenn er den Willen Gottes tut.
Kann aber das der Wille Gottes sein? Eine Schwangerschaft, die alle bisherigen Pläne zerstört? Eine Schwangerschaft, die ausgegrenzt und isoliert – von der Familie, von Freunden, von der Gesellschaft? In diese Verzweiflung hinein tritt nun der Engel Gottes – im Traum. Beide, Josef und Maria, brauchen ihn. Selbst Jesus wird ihn später brauchen in einer seiner schwersten Stunden – kurz vor seiner Auslieferung am Ölberg. Schade, denke ich manchmal, dass wir das Erinnern und Deuten unserer eigenen Träume ein Stück weit verloren haben, bzw. der Psychoanalyse und der Psychotherapie überlassen haben. Denn – in ihnen verarbeiten wir unsere Erlebnisse. Sie haben aber vor allem auch die Bedeutung, die wir selbst Ihnen zumessen. Und sie weisen immer auch auf das hin, was uns wahrhaftig und tiefgründig bewegt. C.G. Jung sagte: „Ein nicht gedeuteter Traum ist wie ein geschriebenes Buch, das keiner liest“; und im Hohelied Salomos heißt es in Vers 5,2: „Ich schlief, aber mein Herz wachte“. So ist es im Traum. Die Sinne ruhen, aber der Grund der Seele ist hellwach. Der Engel spricht: „Josef fürchte dich nicht“, was so viel heißt wie: Lass los. Atme erst mal wieder langsam und tief durch. Hab Vertrauen und höre, was ich dir sage. Du bist nicht allein. Ich – dein Gott – bin bei dir. Ich helfe dir. Gemeinsam werden wir es schaffen. Der Engel bringt also mentale Kraft. Er stärkt und weist den neuen Weg. „Nimm Maria ruhig zu dir, denn das Kind das sie erwartet ist aus dem Heiligen Geist.“ Es ist der gleiche Geist – der Schöpfer Geist – der am Anfang, als nichts außer Öde und Leere war, alles so wunderbar ins Dasein rief. ‚Ruach‘ – der Geist Gottes – schwebte über den Wassern. Es ist der gleiche Geist, dem man jetzt einfach zutraut, seinen Sohn ins Dasein zu rufen – mit anderen Worten – ihn in der ‚jungen Frau’ zu zeugen. Es geht also hierbei weniger um die biologische Vaterschaft, als vielmehr wiederum um den Glauben, dass dieses neue Leben von Gott gewollt ist. Und es geht um die Hoffnung, dass Gott damit etwas Heiliges, etwas – im wahrsten Sinne des Wortes – Heilsames vorhat.
Was wird Maria dem Engel antworten? Wir alle wissen es. Von Josef hingegen – kein Wort. Ein großer Redner war er wohl nie, dafür aber ein guter Hörer. Einer, der seiner inneren Stimme vertraut. Einer, der glaubt – und jetzt genau das tut, was er tun muss. Erst viele Generationen später wird man sagen: Der Josef, der hat’s halt doch richtig gemacht.
Denn – er gibt nicht nur seinen ursprünglichen Plan, Maria zu verlassen, auf, sondern er nimmt sie jetzt zu sich und beschützt sie. Er nimmt das Kind quasi als ‚seinen Adoptivsohn’ an und stellt ihn somit in die Nachfolge Davids, aus dessen Familie ja der Erlöser kommen soll. Und er gibt ihm den Namen Jesus, was heißt: „Der Herr rettet.“ Josef also wahrlich ein Mann des Glaubens, der Tat, der Gerechtigkeit, der Fürsorge und des Gehorsams – ein heute schwer verständlicher, nicht zuletzt durch unsere eigene Geschichte, negativ geprägter Begriff. Als wir vor einigen Jahren in der Weiheliturgie gefragt wurden: „Versprichst du deinem Bischof Ehrfurcht und Gehorsam“, antworteten wir: „Ich verspreche es.“ Dabei legt der Weihekandidat seine Hände in die des Bischofs. Es ist ein Ausdruck des gegenseitigen Vertrauens. Beide meinen es gut miteinander. Sie wollen sich ein Leben lang treu an die gegenseitigen Absprachen halten. Genau das – und genauso, ist es auch hier bei Josef gemeint.
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
was können wir nun von Josef lernen? Worin ist er uns heute noch ein Vorbild? „Die Tat allein erweist der Liebe Kraft“, so Goethe. Ich möchte hinzufügen – dasselbe gilt auch für den Glauben. Auf die konkreten Taten und auf den Lebensstil kommt es vor allen anderen Dingen an. Nicht so sehr auf die vielen großen und gescheiten Worte. Vielleicht auch wieder mehr zu Menschen des Schweigens, des Hörens und des Nachdenkens werden – gerade jetzt. Vielleicht nicht so sehr nach außen, sondern wieder mehr nach innen leben – gerade jetzt. Aber dabei unbeirrt seiner ‚inneren Stimme’, der ‚Stimme seines Gewissens’ folgen. Ganz egal, was die anderen Leute dazu sagen. Menschen sein, mit denen Gott etwas anfangen kann, weil sie hören und – in biblischem Sinn – ‚gehorchen‘. Menschen, die wie Josef einfach da sind, wenn Gott sie braucht. Amen.