Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - LK 9,18-24
"Und es geschah: Als er allein im Gebet war, waren die Jünger bei ihm. Und da fragte er sie und sagte: Was sagen die Scharen, wer ich sei? Sie hoben an und sprachen: Johannes der Täufer; andere: Elija; wieder andere: Ein Prophet – von den alten einer – ist auferstanden. Da sprach er zu ihnen: Ich aber – was sagt ihr, wer ich sei? Petrus hob an und sprach: Der Messias Gottes. Doch er herrschte sie an und gab Weisung, dies keinem zu sagen. Er sprach, es müsse sein, dass der Menschensohn viel leide, verworfen werde von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten, getötet – und am dritten Tag auferweckt werde. Zu allen aber sagte er: Wenn einer hinter mir hergehen will, der sage sich los von sich und nehme sein Kreuz auf, Tag um Tag – und so folge er mir. Denn: wer sein Leben retten will, der wird es zugrunde richten. Wer aber sein Leben zugrunde richtet – um meinetwillen – der wird es retten."
Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus Jesus,
wieder einmal – so heißt es im heutigen Evangelium – geht Jesus in die Einsamkeit, um dort zu beten. Weg also von der Hektik des Alltags, weg vom Trubel und der Zivilisation und weg auch von den Menschen. Immer wieder sucht Jesus diese Ruhe und diese Stille, um sich auf das Wesentliche in seinem Leben besinnen zu können. Nämlich, was hat Gott mit mir vor, was ist mein Auftrag, meine Sendung. Hier, am Ufer des Sees oder in der Wüste oder auf einem hohen Berg; hier bekam er Gewissheit und Klarheit; hier strömte ihm die Kraft und die Zuversicht zu, die er noch brauchen wird, um sich und seinem Auftrag – von Gott her – treu bleiben zu können.
Und trotzdem war heute etwas ganz anders. Denn – er war nicht wie sonst allein, sondern seine Jünger begleiteten ihn. Und diese fragte er nun: „Für wen halten mich die Leute?“ Jesus war also daran interessiert zu erfahren, was die Leute wohl über ihn denken und reden. Denn – oft genug schon hatten sie ihn enttäuscht und verletzt. Oft schon wollten sie ihn hereinlegen oder – hätte er sich ihnen nicht entzogen, wie in Nazareth – sie hätten ihn bereits getötet. Letztendlich musste er immer wieder traurig feststellen: Die Meinen – die, die der Vater mir liebevoll anvertraut hat, die Meinen kennen mich nicht. Weil aber eine Berufung auch immer ihre Bestätigung sucht, fragt Jesus jetzt seine Jünger – und damit auch uns: „Was glaubst ihr? Wer bin ich denn für euch? Für wen haltet ihr mich?“ Es ist auch, und gerade heute, immer noch die alles entscheidende Frage und Anfrage, an jeden Einzelnen von uns ganz persönlich. Anders formuliert: Kennen wir, die wir heute mit ihm gehen – Kennen wir ihn? Was würden Sie wohl darauf antworten?
Nun – Paulus wird, und das war sein Lebensprogramm, später sagen: In der der Erkenntnis Jesu Christi ist alles andere in meinem Leben sinnlos und ohne Bedeutung. Heute aber ergreift wieder einmal Petrus das Wort und sagt – wie auch später der Hauptmann unter dem Kreuz: „Du bist der Messias“, d.h. der Gesalbte Gottes. Worauf hin auch Jesus sich öffnet und seinen Jüngern erzählt, was ihn bedrückt. Die Stimmung war nämlich schon lange und eindeutig gegen ihn. Enttäuschte Erwartungen, Hass und Wut. So dass Jesus wusste; sie werden vor nichts zurückschrecken – und im schlimmsten Fall wird es ganz eng. Ich muss damit rechnen, dass sie mich umbringen. Jesus hatte also Angst und sagte daraufhin: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Also – immer und immer wieder – und auch noch täglich – das Kreuz. „Nimm es – dein Kreuz“, sagt er an einer anderen Stelle, denn ich lade Dir nicht mehr auf, als du tragen kannst. Mach dir keine Sorgen und hab keine Angst, denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht. Leicht gesagt und doch für manche gar unerträglich – in Anbetracht von Leiden, Sterben und Tod. Oft schon haben mir Patienten gesagt: „Vor dem Tod habe ich keine Angst – vor den Schmerzen und dem Sterben aber schon.“ Seine Selbständigkeit zu verlieren, mit Krankheit oder Behinderung leben zu müssen, chronische Schmerzen haben oder auch das Nicht-sterben-können sind schlimme Schicksale. Deshalb ist es gut, dass es heute Schmerztherapien, Patientenverfügungen und Hospize gibt. Hier wird das Leben nicht um jeden Preis ‚nur‘ verlängert, sondern es wird gemeinsam überlegt, wie der Sterbeprozess und das Ende menschengerecht und würdevoll gestaltet werden kann. „Gib also deinem Leben nicht viele Jahre, sondern deinen Lebensjahren Leben“, wie es in der Präambel des Krankenpflegelehrbuchs von Liliane Juchli heißt, eine charismatische Ordens- und Krankenschwester aus der Schweiz, die ich sehr wertschätze.
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
es ist wichtig, so zu leben, dass ich dem Herrn zu jeder Stunde und zu jeder Minute begegnen kann. Egal, ob heute – in der Nacht, oder morgen – am Tag. Und – ich frage Sie: „Gibt es etwas Schöneres, als in meiner Sterbestunde demjenigen zu begegnen, dem ich mein ganzes Leben lang nachgefolgt bin?“ Der, wie er selbst sagte, kommen wird, um mir die Tür zum himmlischen Haus seines Vaters zu öffnen. Das Haus mit den vielen, vorbereiteten Wohnungen – eine für Dich und eine für mich. Ein, wie ich meine, sehr schönes Bild, das uns – bei aller Trauer und allem Schmerz – ruhig etwas zuversichtlicher und gelassener stimmen könnte. Die bekannte Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross sagte – in hohem Alter selbst schwerkrank und ans Bett gefesselt immer wieder – und ich wünsche es auch Ihnen von Herzen: „Sterben ist wie Umziehen in ein anderes, schöneres Haus. Ich freue mich sehr darauf." Amen[1].
[1] Predigtlied: ‚Ich hab die Nacht geträumet‘, von August Zarnack – als Predigtschluss mit Gitarrenbegleitung vorgetragen. 1. Ich hab ' die Nacht geträumet wohl einen schweren Traum - es wuchs in meinem Garten ein Rosmarienbaum. 2. Ein Kirchhof war der Garten, das Blumenbeet ein Grab - und von dem grünen Baume fiel Kron und Blüten ab. 3. Die Blüten tät ich sammeln in einen goldnen Krug - der fiel mir aus den Händen, dass er in Stücke schlug. 4. Draus sah ich Perlen rinnen und Tröpflein rosenrot - was mag der Traum bedeuten, Herzliebster bist du tot?