Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - JOH 15,1-8
"Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht trägt: Die reißt er weg. Und jede, die Frucht trägt: Die reinigt er, dass noch mehr Frucht sie trage. Schon seid ihr rein - kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe. Bleibt in Eins mit mir, und ich in Eins mit euch. Wie die Rebe aus sich nicht Frucht tragen kann - es sei denn, sie bleibe am Weinstock - so auch ihr nicht; es sei denn, ihr bleibt in Eins mit mir. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in Eins mit mir bleibt, wie ich in Eins mit ihm: Der trägt viel Frucht. Denn ohne mich vermögt ihr nichts zu tun. Wenn einer nicht in Eins mit mir bleibt, so wird er hinausgeworfen wie die Rebe und verdorrt. Und die sammelt man und wirft sie ins Feuer; und sie verbrennt. Wenn ihr in Eins mit mir bleibt, und meine Worte in euch bleiben, so erbittet, was ihr wollt, es wird euch geschehen. dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. Dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass viel Frucht ihr tragt und meine Jünger werdet."
Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde,
alles hat zwei Seiten, so sagt der Volksmund, eine Außen- und eine Innenseite. Menschen z.Bsp. können aneinander vorbei, oder nebeneinander her leben, weil sie sich nur von ihrer Außenseite her kennen. Teils beabsichtigt. Teils ungewollt. Dabei wäre es doch gerade wichtig – insbesondere für eine gelingende Beziehung – die Innenseite in den Blick zu nehmen. Was einen Menschen bewegt und umtreibt, wie er denkt und fühlt, was sein Wesen und seine unverwechselbare Persönlichkeit ausmacht. Auch der Glaube hat gewissermaßen eine Innen- und eine Außenseite. Die äußere Form zeigt sich auf vielerlei Weise im Leben der Gemeinde, in der Gestalt der Liturgie, in Bräuchen und Gepflogenheiten. Die Innenseite des Glaubens ist der persönliche Glaube des Einzelnen, die Inhalte der Glaubenslehre und das Zeugnis der heiligen Schrift in Wort und Tat. Im Idealfall stimmt innen und außen überein. Ich bin, was ich sage. Ich lebe, was ich glaube. Ich bin – wie Jesus von Nazareth – authentisch.
Die heutige Bildrede vom Weinstock bringt auch eine Art ‚Außen – Innen‘ zur Sprache. Das Bild vom Weinstock und dem Weinberg – ein Bild aus der Landwirtschaft – ist den Menschen, damals wie heute, sehr vertraut. Denken wir nur an die Rebberge im Glottertal, am Schlossberg in Freiburg oder am Kaiserstuhl. Jesus nimmt nun dieses Bild zum Anlass, um erneut auf das Reich Gottes hinzuweisen. „Ich bin der Weinstock – ihr seid die Reben.“ Es geht um eine enge Verbundenheit der Rebzweige – das sind wir – mit ihm, dem Weinstock Jesus Christus. Denn nur in einer inneren und tiefen Beziehung zu Christus können, die zu ihm Gehörenden, sichtbare und reiche Frucht bringen. Wer in ihm bleibt, auf sein Wort hört und an seinem Wort festhält, wird seine Identität in Jesus Christus selbst finden. Unerschrockenheit, Selbstbewusstsein, Ehrlichkeit, Offenheit – diese Fähigkeiten gewinnt der Glaubende ja gerade nicht aus sich und seinen eigenen Leistungen, sondern aus dem Angenommen-sein und dem Geliebt-sein von Gott her – als Gaben und Früchte des Hl. Geistes, wie Paulus sagt. Hier darf, soll und muss jeder einbringen, was er hat und kann – in der Form von Glaube, Hoffnung und Liebe. Gerade so erfahren wir, als an Christus Glaubende, eng mit ihm verbunden, Halt und Mitte zugleich.
Deswegen ist unser Glaube keine Einbahnstraße, an deren Ende Gott sozusagen als ‚Objekt' mir gegenübersteht. Glaube ist vielmehr lebendiger Austausch mit dem ‚DU‘ Gottes – ist Weg und Bewegung, Wort und Antwort, Dialog und Gespräch. Glaube ist personale und lebendige Beziehung zu Jesus Christus. Er wird zur Mitte meines Lebens – er wird mein Freund. Der Winzer, Gott Vater – der Weinstock, Jesus Christus – und die Reben, wir, bilden eine untrennbare Einheit. Nur insofern sie, und auch weil sie zusammengehören, bringen sie auch reiche Frucht.
Das Fruchtbringen ist überhaupt die entscheidende Dimension unseres christlichen Glaubens. Dem Gebot der Liebe – Jesus sagt: „Wie der Vater mich geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Bleibt in meiner Liebe“, wird alles unterworfen. Das eigene Leben – mein Leben, meine Person, ja der ganze Mensch – kommt hier ins Spiel. Jesus meint es – im tiefsten und wahrsten Sinne des Wortes – persönlich. Jedem will er auf eine persönliche und persönlich-liebende Art und Weise begegnen. Jede und Jeder ist persönlich aufgerufen, nicht irgendetwas zu geben, sondern sich selbst. So sind wir in unserem gesamten Fühlen, Denken und Handeln immer ganzheitlich gefordert. Liliane Juchli und Mutter Teresa empfehlen: mit Kopf, Herz und Hand. So kann und wird unser Leben gelingen – und – so dürfen wir auch um alles bitten und werden es erhalten. Wenn aber das Tun unterbleibt, zerbricht die tragende Verbindung zu Jesus Christus. Eine Rebe, die keine Frucht trägt, ist für den Winzer nutzlos. Ja sogar schädlich, da sie der Pflanze Kraft entzieht, die sonst den fruchtbaren Reben zur Verfügung stünde.
„Wenn ihr in mir bleibt und ich in euch, dann bringt ihr reiche Frucht. Getrennt von mir aber“ – man höre und staune – „könnt ihr nichts tun.“ Christus allein setzt also die Bedingungen für das Fruchtbringen. Alle Initiative geht von ihm aus – und – diese Beziehung ist auch nicht umkehrbar. So wäre es töricht und dumm, würde ein Rebzweig etwa sagen: „Ich brauche den Weinstock nicht mehr“ – oder – „ich kann auch ohne den Weinstock reife und süße Trauben hervorbringen.“ Jeder von uns weiß, dies wird nicht gelingen. Die Verbindung zur Kraftquelle ist unterbrochen und die Sonne wird diesen Zweig austrocknen. Bestenfalls hält er sich noch ein paar Tage frisch in einem Gefäß mit Wasser. Sein Leben aber ist bereits erloschen. Der Weinstock hingegen lebt weiter, er wird neue Rebzweige hervorbringen und er wird auch nächstes Jahr vom Winzer wieder ganz mutig, bis auf zwei Triebe, zurückgeschnitten und gereinigt werden. Der Winzer weiß, dass er nur so am Ende gute Weintrauben ernten kann.
Liebe Mitchristen,
vertrauen wir erneut darauf, dass Gott uns hält und trägt – wie in dem Bild vom Weinstock. Er kommt uns mit seiner Treue immer wieder zuvor. Christsein ist weder das permanente Erbringen von Höchstleistungen, noch die Sache einer Elite. Wohl aber eine Sache von Berufenen, von Hörenden und Sehenden – eben von uns. Wir haben seinen Ruf als Anruf an uns persönlich vernommen. Deshalb verstehen wir unser Leben immer mehr als Antwort auf sein zuvor ergangenes Wort. Wir leben anders – wir verändern, ja wir verwandeln uns. Wir legen den alten Menschen, wie Paulus sagt, ab, und ziehen den neuen Menschen, Christus, an. Wer in Christus lebt, erfährt sich als neuer, von Gott her angenommener Mensch. Er ist mit sich und seiner Welt einigermaßen versöhnt, hat Freude am Leben und ist selber Weinstock, das heißt Kraftquelle und Stütze für Andere. Letztendlich kommt es genau darauf – und – dies ist meine feste Überzeugung, nur darauf kommt es an. Glauben, mit Leib und Seele, handeln mit Herz und Hand, authentisch nach außen und nach innen – und dabei immer eng verbunden mit der Wurzel und dem Weinstock – Jesus Christus. Amen.