Textquelle: Das Alte Testament - Einheitsübersetzung 2017 - DEU 4,1-2.6-8
"Und nun, Israel, hör auf die Gesetze und Rechtsentscheide, die ich euch zu halten lehre! Hört und ihr werdet leben, ihr werdet in das Land, das der Herr, der Gott eurer Väter, euch gibt, hineinziehen und es in Besitz nehmen. Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen; ihr sollt die Gebote des Herrn, eures Gottes, bewahren, auf die ich euch verpflichte.
Ihr sollt sie bewahren und sollt sie halten. Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie der Herr, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen? Oder welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsentscheide, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?"
Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - MK 7,1-8.14-15.21-23
"Und es versammeln sich bei ihm die von Jerusalem gekommenen Pharisäer und einige der Schriftgelehrten. Und sie sehen, wie einige seiner Jünger mit gemeinen, das heißt ungewaschenen Händen ihre Brote essen. Die Pharisäer wie alle Juden essen ja nicht, ohne die Hände aus eine Hohlfaust Wasser zu waschen, um so die Überlieferung der Alten zu halten. Auch vom Markt essen sie nichts, ohne es zu spülen. Und noch vieles andere gibt es, was sie zu halten übernommen: Tauchwaschungen von Bechern, Krügen und Kupfergeschirr. Und so fragen ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: Warum gehen deine Jünger den Weg nicht nach der Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit gemeinen Händen. Er aber sprach zu ihnen: Treffend hat Jesaja über euch Blender prophetisch geredet, wie geschrieben ist: Dies Volk ehrt mit den Lippen mich, doch hält sein Herz sich fern von mir. Umsonst sie mich verehren: Denn was an Lehren sie lehren, sind Menschengebote. Fahren lasst ihr Gottes Weisung, aber ihr haltet der Menschen Überlieferung. Und abermals rief er die Leute herbei und redete zu ihnen: Hört alle mich an und versteht! Nichts was von außen in den Menschen kommt, kann ihn gemein machen, sondern was herauskommt aus dem Menschen, das ist es, was den Menschen gemein macht. Denn von innen, aus dem Herzen des Menschen kommen die üblen Gedanken: Hurerei, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habsucht, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, neidischer Blick, Lästerung, Hochmut, Unverstand. All dieses Böse kommt von innen heraus und macht den Menschen gemein."
Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde,
kein Volk auf der Erde besitzt eine solch klare Wegweisung wie das Volk Israel – durch mehr als drei Jahrtausende hindurch. Hierfür wurde Israel von den umliegenden Völkern immer wieder beneidet. Bis zum heutigen Tag feiern die Juden das ‚Fest der Gesetzesfreude’. Als sie zu Beginn des fünften Jahrhunderts vor Christus aus dem babylonischen Exil in die Heimat zurückkehrten, berichtet uns der Prophet Nehemia, dass das Volk, als es das Wort und seine Weisungen hörte, so betroffen war, dass alle weinten. Sie haben eben das Gesetz – auch wenn sie es nicht immer befolgten – halt doch sehr geliebt. Gut vertraut ist uns das Bild von Mose, wie er mit den zwei Gesetzestafeln vom Berg Sinai herabsteigt. Der lange Weg des Volkes durch die Wüste war nicht immer ohne Probleme. Die Gefahr, vom Bund Gottes und seinen Geboten abzufallen, die Gefahr, nach eigenem Gutdünken zu leben, war sehr groß. So musste Mose, wie später auch die Propheten, immer wieder mahnen und erinnern, den Geboten Gottes und seiner Fürsorge zu vertrauen. „Hört und ihr werdet leben. Gott ermutigt uns. Er meint es gut mit uns“, so Mose. Aber genau dies wird heute in Frage gestellt. Sind denn die zehn Gebote, in eine Zeit und Kultur von vor 3000 Jahren hinein verkündet, für uns heute noch relevant? Werden wir nicht durch die Gebots- und Verbotsmoral in unzulässiger Weise in unserer Freiheit eingeschränkt? Eine Freiheit, zu der uns gerade Jesus Christus befreit hat?
Im heutigen Evangelium jedenfalls spricht Jesus deutliche Worte: „Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.“ Was war geschehen? Im Laufe der Zeit waren hunderte von Geboten und Reinheitsvorschriften entstanden, laut Deuteronomium, dem fünften Buch Mose, über sechshundert. Nach Meinung der Pharisäer sollten diese von allen, auch den einfachen Leuten, eingehalten werden. Zum Beispiel die Wasserriten, die über Reinheit oder Unreinheit entschieden. Wasser war ein sehr hohes Gut und mangelhaft vorhanden. Die Menschen mussten bis zu einer Stunde zum Brunnen laufen, um zu schöpfen. Oder das fragwürdige Verhalten des Leviten in der Samaritererzählung. Oder das Sabbatgebot. Oder heute das Freitagsgebot oder das Empfangen des Leibes Christi nur dann, wenn man nüchtern ist – und – und – und.
Jesus kritisiert diese unmenschlichen Forderungen und dieses unmenschliche Verhalten vehement. Und er stellt neu die Frage nach dem Willen Gottes. Gott interessiert sich nämlich in allererster Linie für unsere Herzen. „Nicht was von außen in den Menschen hinein kommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Menschen herauskommt“, sagt Jesus. Nicht der Mensch ist für das Gesetz da, sondern umgekehrt – das Gesetz hat dem Menschen zu dienen. Für mich ist es keine Frage – Gott gibt seine Weisungen den Menschen nicht, um sie zu belasten, um sie in ihrer Freiheit einzuengen, sondern damit sie leben. Damit die freie Annahme und Beantwortung der Liebe Gottes das Verhalten des Menschen zum Guten hin verändert. Kein Volk auf der Erde besitzt eine solche klare Wegweisung, wie das Volk Israel. Und ich füge hinzu: Kein Volk auf der Erde besitzt eine solch froh machende Botschaft, wie die Christen. Einmalig – und in keiner anderen Religion zu finden – und wahrhaftig. Wie das Volk Israel soll auch die christliche Gemeinde ein Zeichen Gottes unter den Menschen sein.
Gott hat einen neuen Bund geschenkt, der jeden von uns persönlich umfasst – persönlich berührt. Gott begegnet jedem und jeder, z.Bsp. in der Hl. Schrift oder den Sakramenten, auf eine persönlich liebende Art. Er will so allen Menschen zu einem gelingenden Leben in Freiheit verhelfen. Deshalb ist die Botschaft Jesu auch so einfach und doch so radikal zugleich. Alle Gebote werden in einem Hauptgebot zusammengefasst. „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft – und – du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Kein anderes Gebot ist größer als dieses. Das Gebot der Nächstenliebe bekommt durch diese Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe einen tiefen Sinn. Die Nächstenliebe ist ebenso wichtig wie die Gottesliebe. In der Nächstenliebe erweist sich die Liebe zu Gott. Hier bewährt sie sich und findet eine konkrete Anwendung. Paulus sagt: „Wer den anderen liebt hat das Gesetz erfüllt“, und im ersten Johannesbrief hören wir: „Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns – und seine Liebe ist in uns vollendet.“ So wird also in Jesus Christus endgültig offenbar, dass Gott uns liebt und uns Leben und Zukunft schenkt. Ihm folgen wir nach, seine Liebe empfangen wir – seine Liebe verschenken wir. Ein Nachlassen in der Nächstenliebe führt dazu, dass Menschenrechte verletzt werden und andere schwere Verfehlungen gegen Gott und die Menschen geschehen wie z.Bsp. Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit. Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe des Neuen Bundes hebt somit die Zehn Gebote des Alten Bundes nicht auf, sondern bringt sie quasi zur Vollendung.
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
unser christlicher Glaube kann nur glaubwürdig bezeugt werden in einem dementsprechend glaubwürdigen Leben. Er, der Glaube, will – ja er muss auf fruchtbaren Boden fallen. Gelingt dies, dann wird er auch sichtbar und spürbar in den Werken der Liebe. Hierzu gibt es viele Beispiele – denken wir nur an Mutter Teresa. Je mehr man das Gute tut, desto freier wird man. Wahre Freiheit gibt es nur im Dienst des Guten und der Gerechtigkeit. Im restlosen Vertrauen auf unseren Gott - den Vater, den Sohn und den Hl. Geist können wir alles – auch das manchmal menschlich unmöglich Erscheinende – vollbringen. Alles kann – wer glaubt. Amen.