16 Die Berufung der Fischer


Fischer in Marseille

Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - LK 5,1-11

 

"Es geschah aber: Während die Leute zu ihm drängten, um das Wort Gottes zu hören, und er am See Gennesaret stand, sah er zwei Boote am See abgestellt. Die Fischer waren aus ihnen ausgestiegen und wuschen die Netze. Und er stieg in eines der Boote, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig weg vom Land hinauszufahren. Er setzte sich und lehrte vom Boot aus die Scharen. Als er aber aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahr hinaus ins Tiefe, und lasst eure Netze zum Fang hinunter. Simon aber hob an und sprach: Meister! Die ganze Nacht haben wir uns abgemüht und nichts bekommen. Aber auf dein Wort will ich die Netze hinunterlassen. Das taten sie und schlossen eine Menge Fische ein; fast rissen ihre Netze. Und sie winkten den Teilhabern im anderen Boot, zu kommen und mit ihnen anzufassen. Und die kamen und füllten beide Boote, so dass sie tief einsanken. Als Simon Petrus das sah, fiel er zu Jesu Knien nieder und sagte: Geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch, Herr! Denn Schauder hatte ihn gepackt und alle mit ihm ob dem Fischfang, den sie zusammenbekommen – desgleichen aber auch Jakobus und Johannes, des Zebedäus Söhne, die Simons Teilhaber waren. Da sprach Jesus zu Simon: Ängste dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und nachdem sie die Boote an Land gebracht hatten, ließen sie alles fahren und folgten ihm."


Predigt im Jahreskreis 2010


Junge Menschenfischer

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

die Fischer lassen auf den Anruf Jesu hin alles stehen und liegen, um ihm nachzufolgen. Aber – lässt man so einfach alles liegen? Können wir uns dies in Wirklichkeit vorstellen? Meinen Hof, meine Werkstatt, mein Büro, mein Auto, mein Haus, meine geliebte Familie – einfach so verlassen, einfach so zurücklassen? Und auch ein Fischer – er lässt doch nicht einfach so sein Schiff und seine Netze am Ufer zurück. Man gibt doch nicht seine Existenz und damit all seine Sicherheiten so einfach auf – schneidet sich quasi den Ast, auf dem man vielleicht selbst ganz gut sitzt, einfach ab. Für wen denn – weshalb denn – und wohin denn soll’s in Zukunft gehen? In die Arbeitslosigkeit womöglich? Davon haben wir doch gerade genug. Und es werden halt leider nicht weniger. Auch zur Zeit Jesu gab es dieses Problem. Aber – Jesus geht in seiner Verkündigung darauf nicht ein. Ist dies bürgerlich und menschlich betrachtet nicht unglaublich, ungeheuerlich? Oder anders gefragt: Welche Betroffenheit, welche Begeisterungsfähigkeit muss von diesem Jesus ausgegangen sein, wenn er Menschen aus ihrem vertrauten Alltag herauslösen, und in eine ganz neue Welt hineinzustellen vermag?

Heute steigt Jesus, um von der Menge nicht erdrückt zu werden, in eines der beiden Boote, die gerade vom Fischen zurückkommen. Es ist das Boot des Simon. Die Begegnung – anscheinend zufällig. Seine Zuhörer ahnen aber schon, dass es stimmt, was dieser Mann aus Nazareth verkündet. Die Zeit ist erfüllt – das Reich Gottes ist nahe. Jesu berührte, machte betroffen, ja er provozierte und faszinierte seine Zuhörer. Von ihm ging deutlich und spürbar ein Gefühl von Geborgenheit aus. Ein Gefühl von Heimat, von Freiheit und Unabhängigkeit, ein Gefühl unendlicher Weite. Keine Macht der Erde kann über meine Freiheit zu Denken und meine Freiheit zu Fühlen verfügen. Das Gefühl einer wirklichen, Gott-geschenkten Berufung. Im wahrsten Sinne des Wortes hat Jesus durch sein Wort die Menschen ‚bewegt’. Schauen wir auf Simon. Sie waren die ganze Nacht auf dem See, hatten viel gearbeitet und doch nichts gefangen. Die ganze Plackerei der Nacht war völlig umsonst. Und jetzt waren sie hundemüde. Sie wollten ihre Arbeit beenden und sich erst mal ausruhen. Und wie wir den Simon kennen, ist es ihm bestimmt auch nicht leicht gefallen, diesen Misserfolg Jesus gegenüber zuzugeben.

Völlig unerwartet und wider alle Logik rät dieser aber, noch mal hinauszufahren und die Netze auszuwerfen. Jetzt, am helllichten Tag, wo doch jeder weiß, dass dies eigentlich nichts bringt – außer erneut viel Arbeit, und am Ende womöglich eine noch größere Blamage vor den Anderen. Das wollen wir uns doch lieber ersparen. Oder – sollten wir es vielleicht doch noch einmal versuchen – auf sein Wort hin? Eigentlich glaube und vertraue ich ihm ja. Petrus hatte Jesus schön öfters predigen gehört. Und jetzt kommt von ihm die alles entscheidende Reaktion: „Also gut, auf dein Wort hin will ich es noch einmal versuchen.“ Und es geschieht das, was eigentlich gar nicht möglich ist. Die Netze sind so voll, dass sie zu reißen drohen und andere dazukommen müssen, damit sie die Fische ins Boot bekommen. Allein wäre es Ihnen nicht möglich gewesen.

Es gibt also keine Garantie, auch nicht für uns – außer Jesu Wort. Wie Simon sollen und dürfen auch wir auf sein Wort hin handeln. Denn, wenn du an mich glaubst, mir vertraust und meinen Worten folgst, dann wirst auch du am Ende überreich beschenkt. Haben wir diese Erfahrung nicht auch schon selbst gemacht? Dass wir uns abgemüht haben – vergeblich. Dass wir es trotzdem von neuem versuchten, ja – auch aus dem Glauben. Und dass schließlich gelang, was uns unvernünftig oder unmöglich erschien. Geschenk Gottes oder Zufall – frage ich? In meinem Leben war es immer wieder – ganz genau – so. Weniger die eigene Leistung, als vielmehr das Vertrauen anderer Menschen in mich und meine Fähigkeiten, haben mir mein Leben, so wie es verlief, ermöglicht. Mein Glaube, meine Berufung, meine Spiritualität, mein Glück. Interessant – auch Simon Petrus darf Fischer bleiben, von jetzt an aber mit einer ganz neuen, anderen Qualität. „Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“ Alles was einen guten Fischer ausmacht, wird er auch in Zukunft brauchen: Geduld, Wachsamkeit, Ausdauer, Zielstrebigkeit, das Gespür, die Fische nicht durch Unachtsamkeit zu erschrecken. Alle Fähigkeiten werden jetzt Teil einer menschlichen Haltung.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus Jesus,

einen solchen Schritt unternimmt man in seinem Leben nur einmal – und ein für alle Mal. Er ist endgültig – denn es geht ums Ganze – um Alles oder Nichts. Gerade in dieser Endgültigkeit wird uns aber klar, worum es in Wahrheit wirklich geht. Habe ich dazu den Mut? Diese eingangs gestellte Frage muss jede und jeder ganz für sich selbst beantworten. Ich bin davon überzeugt, dass es im Leben jedes Menschen Ziele und Inhalte gibt, für die es sich lohnt, alles stehen und liegen zu lassen. Vielleicht geben wir manchmal zu früh auf, oder wollen etwas erzwingen aus eigener Kraft. Und dann geht es nicht. Erst wenn wir nicht mehr auf unsere Stärke und unser Können vertrauen, wird uns ‚der Durchbruch‘ geschenkt. Wie dem Simon Petrus, der am Ende erkennt, dass er ein schwacher, sündiger Mensch ist. Dass der reiche Fischfang nicht sein Werk ist, sondern Geschenk dessen, dem er geglaubt hat. Deshalb können auch wir heute auf sein Wort hin erneut alles wagen – uns neu in seinen Dienst stellen. Vielleicht auch noch mal mit seiner Hilfe ganz neu, von vorne anfangen. Es lohnt sich – denn am Ende werden auch wir nicht enttäuscht, sondern überreich beschenkt. „Denn“, so Kardinal Neumann, „du hast mich erschaffen, damit ich das bin und das tue, was nur mir und keinem anderen sonst bestimmt ist.“ Amen.