Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - JOH 12,44-50
"Jesus aber schrie auf und sprach: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich ausgeschickt hat. Und wer mich schaut, der schaut den, der mich ausgeschickt hat. Ich bin als Licht in die Welt gekommen, auf dass jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe. Und wenn einer meine Worte hört und nicht auf sie achtet – ich richte ihn nicht. Denn ich bin nicht gekommen, die Welt zu richten, sondern die Welt zu retten. Wer mich verneint und meine Worte nicht annimmt – er hat seinen Richter: Das Wort, das ich gesagt, das wird ihn richten am Letzten Tag. Ich habe das nicht aus mir gesagt, sondern der mich ausgeschickt – der Vater – er hat mir Weisung gegeben, was ich sprechen und sagen soll. Und ich weiß: Seine Weisung ist unendliches Leben. Was ich also sage: Wie der Vater zu mir gesprochen, so sage ich es."
Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn,
heute, am letzten Tag des alten Jahres ziehen wir wieder Bilanz: Jahresrückblick in den Medien, aber auch ganz persönlich – in unseren Erinnerungen. Was hat das letzte Jahr bestimmt? Was hat mich bestimmt? Was war gut – was war schlecht? Ich darf an ein paar Ereignisse des letzten Jahres erinnern:
Frau Ypsilanti aus Hessen musste zurücktreten – sie hatte gelogen. Barack Obama – Yes We Can – wurde neuer Präsident der USA. Erzbischof Oskar Saier ist gestorben und sein Nachfolger Robert Zollitsch feierte seinen 70. Geburtstag und wurde zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt. Der Dalai Lama war in Freiburg zu Gast – Tibet, sein Heimatland wird nach wie vor von den Chinesen besetzt und unterdrückt. Die Raumsonde Phönix hat auf dem Mars Wasser gefunden, was Wissenschaftler begeisterte. Hungerelend vielerorts – in Afrika stirbt in jeder Sekunde ein Kind. Die ‚Schere‘ zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander. In wenigen Jahren, so prognostiziert die WHO für Afrika, eine Aids-Infektionsrate von über fünfzig Prozent. Krieg und Terror, Anschläge und Tote, Naturkatastrophen wie das Abschmelzen der Gletscher und der Polkappen, Orkane, Überschwemmungen, Gerölllawinen als Folgen des globalen Klimawandels. Vom Menschen selbst verursacht durch den rücksichtslosen Raubbau an der Natur.
Und wenn wir jetzt fragen: Wie kann denn 2009 ein gutes Jahr werden, antworten die meisten: Mehr Geld, eine bessere Wirtschaft, eine intakte Gesundheitsversorgung. Doch all dies kommt – zumindest für mich, und wenn überhaupt – erst an zweiter Stelle. Denn in erster Linie sind es die kleinen und alltäglichen Dinge, die uns bestimmen – unsere Arbeit, unsere Familie, unser Hobby – auch unsere Ängste und Sorgen. In Freiheit können wir dabei wählen und entscheiden: Was ist mir wichtig? Welche Sache ist es wert, sich mit ihr zu beschäftigen? Welches ist – für mich ganz persönlich – der richtige Weg?
Friedrich Spee sagt in einfachen Worten – wir haben es eben gesungen: „In seine Lieb versenken, will ich mich ganz hinab.“ Man möchte meinen, Meditation und Kontemplation, das kann doch jeder – aber weit gefehlt. Es muss trainiert und eingeübt werden. Und weiter: „Dich Kindelein von Herzen, dich will ich lieben sehr, in Freuden und in Schmerzen.“ Freilich hoffen wir, davor verschont zu bleiben, aber realistisch ist es eben nicht. Wir haben zu lernen und zu akzeptieren, dass es früher oder später auch uns treffen kann und wird. Das irdische Leben ist endlich und unser Körper nur geliehen. Es gehört zu unserem Glauben dazu, dass wir jederzeit bereit sind, vor Gott zu treten – wie wir gerade im Evangelium gehört haben. So gesehen ist das größte Unglück eben nicht die Finanz- und Wirtschaftskrise, nicht der Verlust von Gesundheit oder Wohlstand, ja – noch nicht einmal der Verlust des eigenen Lebens. Das größte Unglück wäre, den Glauben zu verlieren – Gott zu verlieren. Dem Leid, das unausweichlich kommen wird, nicht mit Hoffnung und Zuversicht begegnen zu können.
Ich möchte Ihnen eine authentische Geschichte erzählen: Ein alter Mann lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn auf einem kleinen Bauernhof. Sie hatten nur ein Pferd, mit dem sie die Felder bestellen konnten und kamen gerade so über die Runden. Eines Tages lief das Pferd davon. Da kamen die Leute aus dem Dorf und riefen: „Oh, was für ein schreckliches Unglück!“ Der alte Mann aber erwiderte mit ruhiger Stimme: „Wer weiß, wer weiß schon, wozu es gut ist?“ Eine Woche später kam das Pferd zurück und führte eine ganze Herde wunderschöner Wildpferde mit auf die Koppel. Da kamen die Leute aus dem Dorf und riefen: „Was für ein unglaubliches Glück!“ Doch der alte Mann sagte wieder: „Wer weiß, wer weiß schon, wozu es gut ist?“ In der nächsten Woche machte sich der Sohn daran, eines der wilden Pferde einzureiten. Er wurde abgeworfen, brach sich dabei ein Bein und so musste der alte Mann die ganze Arbeit auf dem Feld allein bewältigen. Und wieder kamen die Leute aus dem Dorf und sagten: „Was für ein schlimmes Unglück!“ Daraufhin der alte Mann: „Wer weiß, wer weiß schon, wozu es gut ist?“ In den nächsten Tagen brach mit dem Nachbarland ein Krieg aus. Die Soldaten der Armee kamen ins Dorf, um alle kriegsfähigen Männer einzuziehen. Alle jungen Männer des Dorfes mussten an die Front und viele von ihnen starben. Der Sohn des alten Mannes aber durfte mit seinem gebrochenen Bein zu Hause bleiben.
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
wer weiß denn wirklich schon, wozu etwas gut ist? Viel Weisheit, Hoffnung, Gottvertrauen und eine positive Einstellung zum Leben stecken hinter diesen Worten des alten Bauern. Es sind zugleich auch meine Wünsche für Sie und mich fürs neue Jahr 2009. „S’isch alles für ebbis guet“, so hört man manchmal die gläubigen, alten Leute hier im Hochschwarzwald sagen. Meine Oma hat es selbst oft gesagt. Denn Alles Gute kommt – und davon bin ich zutiefst überzeugt – letztendlich – und immer wieder – von oben. Amen.