10 Die Heilung eines Blinden


Ich möchte wieder sehen können

Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - JOH 9,1-12

 

"Und im Vorübergehen sah Jesus einen Mann – blind von Geburt an. Und seine Jünger fragten ihn und sagten: Rabbi, wer hat gesündigt: Der oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde? Antwortete Jesus: Weder er hat gesündigt noch seine Eltern, sondern die Werke Gottes sollten an ihm zum Vorschein kommen. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich ausgeschickt hat – solang es Tag ist. Es kommt eine Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Das sprach er, spuckte auf die Erde und machte einen Brei mit dem Speichel. Und er strich den Brei auf seine Augen. Und er sprach zu ihm: Geh, wasch dich im Teich Schiloach – das heißt übersetzt „Gesandter“. Er ging also weg und wusch sich und kam und konnte aufblicken.

Die Nachbarn und die ihn vordem als Bettler geschaut, sagten: Ist das nicht jener, der dasaß und bettelte? Die einen sagten: Der ists! Die anderen sagten: Nein, aber er ist seinesgleichen! Jener aber sagte: Ich bins. Da sagten sie zu ihm: Wie sind denn deine Augen geöffnet worden? Antwortete jener: Der Mensch, der Jesus genannte, hat einen Brei gemacht und meine Augen bestrichen und zu mir gesprochen: Geh zum Schiloach und wasche dich! Ich ging also weg, wusch mich und konnte umherblicken. Und sie sprachen zu ihm: Wo ist jener? Sagt er: Ich weiß es nicht."


Predigt in der Fastenzeit 2008 - Jugendgottesdienst


Ich ging hin wusch mich und konnte wieder sehen

Liebe Gemeinde, liebe Familien, meine lieben Jugendlichen und Erstkommunionkinder,

Laetare! Das heißt: Freuet Euch – denn bald ist Ostern. Bald ist euer ‚Weißer Sonntag’. Wie wir gehört haben, heilt Jesus heute einen von Geburt an blinden Mann. Was heißt denn eigentlich ‚Blind sein', wenn man selbst betroffen ist. Nicht mit den eigenen Augen sehen können: keine Blume – kein Stern – keine Farben – kein Licht. Nur Dunkelheit – vielleicht ein wenig Schatten. Früher wurden Blinde verachtet und ausgegrenzt. Die Pharisäer sagten: „Du bist ganz und gar in Sünden geboren“, und stießen ihn hinaus. Heute fühlen sich Blinde eher ‚nicht behindert‘. Sie wollen als ‚normale Menschen’ anerkannt und akzeptiert werden. Sie erfahren heute auch eine vielseitige Unterstützung und eine frühe Förderung mit dem Ziel, ihr Leben im Großen und Ganzen selbst, das heißt ohne fremde Hilfe, zu meistern. Deshalb ist, einen Blinden zu erkennen, heute auch gar nicht mehr so leicht. Dunkle Brille und gelbe Armbinde waren einmal. Aber wenn man sich Zeit nimmt und die Menschen ein wenig beobachtet – dann sieht man und erkennt man sie an ihrem Blindenstock, an der Blindenampel, am Blindenhund.

Martin war sechzehn Jahre jung und von Geburt an blind. Er wohnte zu Hause bei seinen Eltern und ging in eine ganz normale zehnte Klasse am Gymnasium in Tuttlingen. So normal wie möglich sollte auch sein Tagesablauf sein. Früh morgens holte ihn Emanuel, mein ältester Sohn, der ihn im Rahmen seines Zivildienstes betreute, mit dem Tandem ab und sie fuhren dann gemeinsam zur Schule. Martin konnte nichts sehen, und trotzdem konnte er lesen – mit seinen Fingern. Seine Lehrbücher, Zeichenmaterialien und auch die Klassenarbeiten waren mit Noppen versehen, die man tasten kann – Blindenschrift. So haben sie Freud und Leid, Tag für Tag, Monat für Monat, ca. eineinhalb Jahre lang geteilt. Dann – die Trennung – sie fiel beiden schwer. Zu kostbar war die gemeinsam verbrachte Zeit, die sie geprägt hatte.

Als ich euch neulich gefragt habe, wie denn Gott für euch ganz persönlich ist, haben einige gesagt: „Wie ein Held, ein Superstar.“ Andere meinten: „Wie eine gute Mama oder ein guter Papa.“ Viele von euch sagten: „Wie ein guter Freund oder eine gute Freundin.“ Freunde machen viel gemeinsam. Freunde halten zusammen, gehen miteinander durch dick und dünn. Ein guter Freund schenkt Vertrauen – er gibt Sicherheit und Kraft. Und stimmt – ihr habt recht – weil Gott zu uns ist wie ein guter Freund, wünscht er sich auch von euch, dass dort, wo ihr hingestellt seid – in eurer Familie, der Schule, dem Verein, der Landjugend – ihr auch gut Freund zu den Anderen seid. Das ist nicht immer leicht – aber es ist sozusagen sein Auftrag. Für Dich, für mich, für uns alle, die wir Jesus ernsthaft nachfolgen. Wie Gott mirso ich Dir, das ist ein guter Leitsatz. Und wenn dann jemand sagt: Auf mich kommt’s doch gar nicht an; einer kann ja eh nichts machen. Dann liegt er völlig falsch und irrt. Es kommt sehr wohl drauf an – auf jeden Einzelnen von euch. Auf dich und deine gute Tat. Schauen wir, was Jesus heute tut, und lassen wir den Blinden doch einfach noch einmal erzählen.

„Plötzlich kam da ein Fremder und interessierte sich für mich. Ja – er berührte, er umarmte mich sogar. Zum ersten Mal war jemand so richtig nett – und freundlich. Ich spürte, dass bald etwas ganz Großes geschehen würde. Dann berührte er meine Augen, strich etwas hinein und schickte mich zum Waschen hinauf zum Teich. Dort hab ich dann alles abgewaschen. Meine Traurigkeit, meine Verzweiflung, mein ganzes ‚altes’ Leben – alles weg. Und auch meine Blindheit. Jetzt kann ich wieder sehen – neu sehen – Jesus hat mich alles neu sehen gelehrt. Ich bin glücklich und froh. Vielen Dank – Jesus. Du bist mein Freund. Danke.“

Habt ihr schon mal dran gedacht, Gott zu danken – für alles Gute und Schöne? Dass ich zum Beispiel gesund bin und nicht krank. Dass ich hören, riechen, schmecken und fühlen und denken kann. Dass ich mich normal bewegen kann und nicht im Rollstuhl sitzen oder gelähmt im Bett liegen muss. Dass ich sprechen und atmen kann, und dass ich keine Schmerzen habe. Dass ich nicht frieren muss, sondern mich abends in ein warmes Bett – vielleicht mit einer Wärmflasche drin – hineinlegen kann. Es sind die einfachen und die alltäglichen Dinge, für die wir Gott danken dürfen. Und ich glaube, darüber freut er sich am meisten.

Liebe Gemeinde, liebe Kinder,

zum Schluss möchte ich euch noch ein kleines Gebet – ich habe es extra für euch gedichtet – mit auf den Weg geben:

 

„Blind vor Wut, Angst oder Neid – ach, guter Gott, das banne weit,

Im Herzen mir die Sonne lacht – dies wünsch ich mir bei Tag und Nacht.

Auch Gutes will ich heute tun – und abends, bei dir, ein bisschen ausruhn.

Werd sicher mir Dir durchs Leben gehn – mehr und mehr mit den Augen deines Herzen sehn.“ Amen.