Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - LK 1,26-38
"Im sechsten Mond aber ward der Engel Gabriel von Gott her entsandt in eine Stadt Galiläas namens Nazaret zu einer Jungfrau, die angetraut war einem Mann namens Josef aus dem Haus Davids. Der Name der Jungfrau war Maria. Und er trat bei ihr ein und sprach: Sei gegrüßt, Hochbegnadete, der Herr ist mit dir. Sie aber erschrak sehr bei dem Wort und machte sich Gedanken, was dieser Gruß bedeute. Da sprach der Engel zu ihr: Ängste dich nicht, Maria! Denn Gnade hast du gefunden bei Gott. Und da! Du wirst im Schoß empfangen und einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus rufen. Er wird ein Großer sein und Sohn des Höchsten gerufen werden: Und geben wird ihm der Herr – Gott – den Thron seines Vaters David. Und König wird er sein über dem Haus Jakob die Weltzeiten hin. Und seines Königtums wird kein Ende sein. Sprach Maria zum Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Und der Engel hob an und sprach zu ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen, und Kraft des Höchsten dich überschatten. Darum wird auch, was nun gezeugt wird, heilig gerufen werden: Sohn Gottes. Und da! Elisabet, deine Verwandte – auch sie hat einen Sohn empfangen, in ihrem Alter. Und dies ist der sechste Mond für sie – die Unfruchtbare, wie sie gerufen wurde. Denn von Seiten Gottes ist nichts unmöglich – kein Ding. Sprach Maria: Da! Ich bin die Magd des Herrn, geschehe mir nach deinem Wort! Und der Engel ging von ihr."
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
manchmal drängt es mich hinaus in die Freiheit der Natur, um mit meiner Kamera das Leben einzufangen. Einfach ein paar schöne Bilder machen – besonders dann, wenn die Sonne scheint und man gute Fernsicht hat. Dann überblickt man zum Beispiel vom Feldberg aus das gesamte Bergpanorama der Schweizer Alpen. Vom Säntis ganz links, bis zum Massiv des Mont Blanc ganz rechts. Nahe dem Gipfelbereich ist dort – zum Schutz für die Bergsteiger – eine Hütte, das sogenannte Refuge Vallot. Nur ein paar Quadratmeter groß und ganz aus Aluminium, kann sie die Strahlen der Sonne so reflektieren, so dass man es hier auf dem Feldberg, etwa 240 Kilometer entfernt, blinken sieht. Schon oft war ich dort oben am Bismarkturm und habe minuten- und stundenlang gewartet, um dieses seltene Phänomen einzufangen. Bis zum heutigen Tag ist es mir nicht gelungen. Sollte es aber eines Tages klappen, würde ich mich riesig freuen. Denn – gespeichert auf dem Microchip oder einer DVD, wäre das Bild verfügbar und festgehalten, für sehr, sehr lange Zeit.
Ganz ähnlich dürfen wir uns vorstellen, wollte auch König David – damals vor etwa 3000 Jahren – festhalten, am besten gar für alle Zeiten. Festhalten an seinen Erlebnissen und Erfahrungen im Glauben an Gott. Er hatte ihm vieles – ja alles – zu verdanken. Sein Volk war befreit, er selbst gerade als König bestätigt – es war eine Zeit des Friedens. Deshalb sollte auch, direkt neben seinem Palast – für Gott, der bislang in der Bundeslade in einem Zelt wohnte – eine neue Heimat geschaffen, und ein prunkvoller Tempel gebaut werden. Hierfür ließ sich Gott aber überhaupt nicht begeistern und fragte durch den Propheten Natan zurück: „Wer schon kann mir ein Zuhause geben?“ Was so viel heißt wie: Einen Bau aus Steinen und Holz, das will ich nicht. Wie könnte ich, der die Felsen und die Bäume erschaffen hat – ich, der alles in allem ist und alles in allem umfasst, wie könnt ich in einem solchen Haus wohnen?
Nein – Gott bevorzugt einen anderen Weg. Nicht die Menschen geben Gott Heimatrecht bei sich, sondern umgekehrt. Gott verschafft den Menschen Heimat und erbaut ihnen das Haus. Gott will nicht in toten, sondern in lebendigen Steinen – er will bei uns Menschen wohnen. Gerade deshalb wird er selbst Mensch in Jesus Christus und mietet sich sozusagen ein – bei uns. Wir sind sein lebendiger Tempel – der Tempel des Heiligen Geistes, so Paulus. Gott also einfangen, ihn gar festhalten wollen, ist uns Menschen nicht möglich. Für Gott selbst aber, so hören wir im heutigen Evangelium, ist wiederum nichts unmöglich. Er macht das möglich, was der Wunsch aller Religionen ist – nämlich: Gott in ihrer Mitte zu haben. Jede Religion hat ihre heiligen Stätten und Gebäude aus der Sehnsucht heraus, Gott bei sich haben zu wollen. Unser Gott aber schafft die nötigen Voraussetzungen für uns als ‚lebendige Tempel‘ selbst. Er bereitet uns. Er weitet unser Herz, er schenkt uns eine Art von Liebe, die sogar Platz hat für Gott.
Und so hat er als erstes Maria bereitet, damit er überhaupt ankommen kann, hat in ihr im wahrsten Sinne des Wortes Wohnung genommen. Wesentliche Voraussetzung für unser Christsein also ist, dass wir uns dem Wirken Gottes aussetzen, dass wir uns öffnen, ihn hereinbitten, um uns dann von ihm bereiten zu lassen. Der Beginn allen Tuns ist die stille Bereitung. Voraussetzung für alle ‚Aktion’ – die ‚Kontemplation’. Erst Gottes Nähe macht aus mir jemanden, der den Menschen nahe ist. Erst Gottes Nähe macht aus mir nicht nur einen ‚Nahen‘, sondern auch einen ‚Nächsten‘, der dann wiederum Andere lieben und beschenken kann. Gott schenkt also fortwährend und wartet auf Annahme. Und wenn wir in diesen Tagen schenken, dann doch im Wesentlichen deshalb, weil wir uns mit den Menschen, die wir lieben, verbunden fühlen. Und genau wo dies zum Ausdruck kommt, bekommt ein Geschenk Gewicht. Der ‚Geldwert’ einer Sache spielt dabei überhaupt keine Rolle. Es wiegt so viel, wie Liebe in ihm steckt und wie die Liebe im Beschenkten entzündet wird. Und genau dort, wo diese Liebe gelebt und gefördert wird, bekommt das Ganze einen religiösen Wert – anders gesagt, eine christliche Dimension. Denn die Liebe Gottes verwirklicht sich da, wo die Liebe unter den Menschen wächst – Stunde für Stunde, Tag für Tag, Jahr für Jahr.
„Weihnachten ist für mich ein Tag, wie jeder andere“, so unterhielten sich diese Woche zwei Frauen im Zug und stellten traurig fest, dass es eigentlich gar nichts zu feiern gibt. Vom genauen Gegenteil aber sind wir Christen überzeugt und rufen hinaus in alle Welt: Lasst uns frohlocken und jubeln – schließt niemanden von unserer Freude aus, denn bald wird uns der Heiland geboren.
Ich möchte schließen mit einem Brasilianischen Gedicht: „Weihnachten ist – wenn zwei Menschen einander verzeihen – wenn jemand beschließt ehrlich zu leben – wenn wir einander ansehen mit den Augen des Herzens und mit einem Lächeln auf den Lippen. Denn geboren ist die Liebe – geboren ist die Gerechtigkeit – geboren ist die Hoffnung – geboren ist die Freude – geboren ist Christus, der Herr.“ Amen.