Textquelle: Das Neue Testament - Einheitsübersetzung, 2017 - LK 17,11-19
"Und es geschah auf dem Weg nach Jerusalem: Jesus zog durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. Als er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns! Als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht, zeigt euch den Priestern! Und es geschah, während sie hingingen, wurden sie rein. Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu auf das Angesicht und dankte ihm. Dieser Mann war ein Samariter. Da sagte Jesus: Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet."
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus Jesus,
Krank – das war doch jeder von uns schon mal. Der eine mehr, der andere weniger. Dabei ist er, der Kranke, immer ganzheitlich, d.h. mit Körper, Seele und Geist betroffen und oft auch in seiner menschlichen Existenz bedroht. Unser irdisches Leben ist endlich und vergänglich. Wir werden geboren, wir werden älter und krank, wir leiden und wir sterben. Schon vor der Geburt im Mutterleib beginnt dieser Prozess – so sagen die Forscher – weil, überflüssige Körperzellen ständig „Platz machen“, d.h. absterben müssen, um den Organismus weiter zu entwickeln.
„Herr Doktor, werde ich wieder ganz gesund?“, fragte eine junge Patientin den Operateur kurz vor dem Eingriff – die chirurgische Entfernung eines Hirntumors an der Schädelbasis. Selbst wenn dieser Eingriff gelingt, das Risiko, danach blind, taub oder gelähmt zu sein, ist nie ganz auszuschließen. Der Operateur sagte zu ihr: „Frau ‚Soundso‘, ich kann Sie nur behandeln – heilen, das kann ich nicht“. Diese Antwort gefiel mir – denn, sie weckte keine falschen Hoffnungen, sie war einfach nur ehrlich. Es muss also noch andere Kräfte geben, die zur Heilung auch irgendwie beitragen. Vielleicht die mentale Kraft – oder die Natur? Wir sagen ja manchmal: „Die Natur wird’s schon heilen“. Vielleicht aber auch mein Wille – oder, mein Glaube?
Um genau diese Themen geht es auch im heutigen Evangelium. Im Grenzgebiet von Galiläa und Samarien kommen Jesus zehn Aussätzige entgegen. Aussatz war damals eine unheilbare, ansteckende und sehr schmerzhafte Erkrankung. Finger und Arme, Zehen und Beine und auch das Gesicht verfaulten ganz allmählich. Nur die radikale Trennung der Kranken von den Gesunden brachte Schutz. Deshalb stieß man sie hinaus und verbannte sie in unbewohnte Gebiete, wo sie völlig isoliert und einsam, und eigentlich verloren waren. Dazu noch sagten die Priester: „Euer Aussatz ist die Strafe Gottes für eure schweren Sünden. Ihr seid unrein und von Gott verflucht.“ Und mit Sündern war nach jüdischem Gesetz der Umgang und die Nähe strikt zu meiden. In dieser aussichts- und hoffnungslosen Lage, ist es nun ein allerletzter Versuch, Jesus entgegenzutreten und ihn um sein Erbarmen zu bitten.
Was aber wird dieser Jesus tun? Ganz oft schaute er die Kranken liebevoll an, oder er stellte sie in die Mitte, oder er berührte sie mit seinen Händen. Heute aber ist der Kontakt äußerst kurz und seine Anweisung ganz schlicht. Er ruft ihnen nur zu: „Geht – und zeigt euch den Priestern“. Daraufhin machen sie sich vertrauensvoll auf den Weg – und – auf diesem Weg erfahren sie Heilung. Ihre Haut ist wieder glatt und schön – sie können sich wieder ansehen und riechen, ohne sich zu ekeln. Auch unter den Mitmenschen sind sie wieder angesehen und im wahrsten Sinn des Wortes – rehabilitiert. Jetzt ist auch Kontakt und Gemeinschaft wieder möglich.
Und auch wir kennen das Gefühl, wenn man z.B. nach einer schweren Erkrankung oder einer Operation aus dem Krankenhaus entlassen wird und wieder heimkommt. Man freut sich einfach nur und ist dankbar. Und wenn wir dann auf unser ganz persönliches Leben zurückschauen, spüren wir doch – eigentlich haben wir viel mehr Grund zu danken, als zu bitten. Meine Mutter sagte diese Woche: „Ich bin so dankbar, dass das Auge so lang gehalten hat“. Seit ihrer Kindheit sieht sie nur mit Einem – und mit damit jetzt auch nur noch 10 Prozent. Ich kenne allerdings auch Menschen, die sagen, wenn ich nichts mehr sehe, dann möchte ich auch nicht mehr leben. Bei allem Verständnis dafür, bin ich aber doch fest davon überzeugt, dass positives Denken und auch Danken unser Leben ganz entscheidend verändert – und zwar zum Positiven hin. „Wäre das Wort ‚Danke‘, das einzige Gebet, das du je sprichst, es würde genügen“, so der Benediktinermönch David Steindl-Rast. Er sagt weiter: „Für mich ist Dankbarkeit ein Lebenselixier, das die Traurigkeit überwindet und Sonne und Wärme in mein Gemüt bringt“.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Nur einer von den Zehn kehrt um, um Jesus zu danken. Ausgerechnet ein Samariter – in den Augen der Juden, ein Ungläubiger. „Steh auf und geh“, sagt Jesus zu ihm. „Dein Glaube hat dir geholfen“. Wieder einmal ist also der Glaube hier das alles Entscheidende. Denn dem, der glaubt, dem kann letztlich auch Krankheit, Leid und Tod nichts anhaben, weil er sich in Gott geborgen fühlen darf, und sein Weg – wie bei Jesus – in die Herrlichkeit Gottes führen wird.
Hierzu noch ein letztes Beispiel: Vor vielen Jahren lernte ich auf der Pflegestation einen Pater aus dem Jesuitenkolleg in St. Blasien kennen. Sein Leiden zog sich nun schon über Jahre hin – dennoch war er ein ausgesprochen heiterer und fröhlicher Mensch. Eines Tages – es ging ihm sehr schlecht – kam sein Mitbruder, der Abt Primas, zu Besuch. Sie waren den ganzen Nachmittag zusammen. Aber abends, als der Abt gehen musste und sah, dass es ihm so schlecht ging, sagte er: „Heinz, ich kann dich doch jetzt nicht allein lassen“. Der Pater erwiderte: „Geh nur – Ich hab keine Angst – Ich bin nicht allein“. Keine halbe Stunde später war Pater Wesseloh ganz sanft und ruhig für immer eingeschlafen.
Diese heilbringende Erfahrung, dass der Herr ganz nah bei mir ist, dass er mich begleitet und führt, nicht nur in der Sterbestunde, sondern heute und morgen und an allen Tagen meines Lebens – in Freud und in Leid – diese schöne Erfahrung wünsche ich uns allen von ganzem Herzen. Amen.