Predigt von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch anlässlich der Weihe der Ständigen Diakone und des 40-jährigen Jubiläums Ständiger Diakonat in der Erzdiözese Freiburg am 21. November 2010 im Münster Unserer Lieben Frau in Freiburg
„Die Dynamik des Anfangs“
Liebe Weihekandidaten, liebe Familien und Angehörige unserer Weihekandidaten,
werte Festgäste zum 40-jährigen Jubiläum, liebe Diakone der ersten Stunde,
verehrte Diakone aus dem benachbarten Elsass,
Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens!
„Die Mission der Kirche Jesu Christi ist nicht aufzuhalten.“1 Mit diesem Satz beschließt der frühere Freiburger Neutestamentler Anton Vögtle sein Buch „Die Dynamik des Anfangs“. Was mit Jesus Christus beginnt, was die Herzen der Jünger und Jüngerinnen im Pfingstsaal entzündet (Apg 2,1-4) und was die Zuhörer in Jerusalem an Pfingsten ins Herz trifft (Apg 2,37), entfaltet eine ganz eigene Dynamik: Es entsteht die Kirche und sie beginnt damit, das Evangelium in der ganzen Welt zu verkünden. Und diese Mission der Kirche Jesu Christi ist nicht mehr aufzuhalten. Die Dynamik des Anfangs entfaltet ihre Kraft bis in unsere Tage hinein. Der Anfang der Kirche gleicht einem Samenkorn, das aus dem Boden sprießt, das wächst, größer wird und dabei nicht aufzuhalten ist, das seine Samen wieder austeilt und immer weiter wächst.
Diese Dynamik des Anfangs hat auch Sie, liebe Weihekandidaten, ergriffen; dieser Keim des Evangeliums ist in Sie hinein gepflanzt. Sie haben sich von Gott ergreifen lassen und Sie haben den Ruf von Jesus Christus, ihm in seinem Diakonat zu folgen, gehört und angenommen. Ich freue mich mit Ihnen, dass wir in diesem Jahr des vierzigjährigen Jubiläums elf Weihekandidaten haben. Das ist der zweitgrößte Jahrgang an Weihekandidaten innerhalb dieser vierzig Jahre.
Die erste Weihe von Ständigen Diakonen hier in Freiburg am 3. Oktober 1970 war ein mutiger Schritt, ja ein historisches Ereignis. Mein verehrter Vorgänger, Erzbischof Herrmann Schäufele, nannte diesen Moment zu Recht einen „geschichtlichen Vorgang in unserer Erzdiözese“. Denn „der Diakonat als eigene und bleibende Weihestufe des hierarchischen Amtes nimmt in dieser Stunde in unserer Erzdiözese seinen Anfang.“2 Die Belebung des Diakonats, anknüpfend an die frühchristliche Tradition, ist dabei aber nicht einfach einer pastoral-planerischen Vernunft entsprungen, sondern dem Hören auf Gottes Wort und der Führung des Heiligen Geistes. Denn nicht wir Menschen machen Berufungen; Gott ist es, der ruft, von dem wir uns den Weg zeigen lassen. Der Geist, der lebendig macht, hat den Vätern des II. Vatikanischen Konzils und den Verantwortlichen in unserer Erzdiözese den Weg gewiesen. Seit diesem denkwürdigen Anfang vor vierzig Jahren wurden in unserer Erzdiözese 265 Männer zu Diakonen geweiht. Einige Diakone der ersten Stunde sind, Gott sei Dank! – heute unter uns und feiern mit.
Vieles war bei dieser ersten Weihe noch offen. Noch niemand wusste so richtig, wie sich der Diakonat entwickeln würde und ob in diesem Anfang genügend Dynamik stecken werde. Aber vertrauend auf Gott wagten mein Vorgänger Erzbischof Hermann und die Männer der ersten Stunde den Anfang. Eine der offenen Fragen war, wie sich das Weiheamt entwickeln wird, wenn der Amtsträger verheiratet ist und Familie hat. Denn nach vielen hundert Jahren ohne verheiratete Diakone war dies eine völlig neue Situation. Deshalb wurde von Anfang an Wert darauf gelegt, dass der erste Ort, an dem der Diakon seinen Dienst vollzieht, die Familie bleibt. „Eure erste Sorge gilt euren Familien“3, heißt es in der Bischofsansprache zur Weihe verheirateter Kandidaten. Deshalb danke ich heute Ihnen, den Ehefrauen unserer Diakone wie den Ehefrauen der Weihekandidaten. Sie haben Ihr Ja zum Weg Ihres Mannes gegeben. Manch einer Ihrer Männer verdankt seinen Weg in den Diakonat auch Ihrer Wegbegleitung und Ihrem Glauben. Dankbar bin ich, wie Sie als Frauen Ihre Gaben und Fähigkeiten ins Leben der Gemeinde und der Gesellschaft einbringen. Nach vierzig Jahren können wir sagen: Der verheiratete Diakon hat sich bewährt! Nicht als Abgrenzung zum zölibatär lebenden Priester, sondern als Ergänzung. Eine Hoffnung des Anfangs hat sich erfüllt.
Eine andere Hoffnung, die heute genauso aktuell ist, verband Erzbischof Hermann mit der Wiedereinführung des Ständigen Diakonats: Es war und ist die Hoffnung, dass sich das Antlitz der Kirche nach außen erneuert. „An uns wird es liegen“, ruft er den Weihekandidaten zu, „welches Antlitz die Kirche der kommenden Jahrzehnte auch nach außen hin zeigen wird.“ Dieses Antlitz der Kirche muss das „Antlitz Christi“ wiederspiegeln, „das die Menschen in seinen Bann zieht, weil sie Seine Liebe spüren“.4 Von außen wird die Kirche heute vor allem dann wahrgenommen und geschätzt, wenn sie sich um die Sorgen der Menschen kümmert, wenn sie sich der Armen und Schwachen, der ausgegrenzten Menschen annimmt: Das, was von Beginn an das Charakteristikum des Diakons ist, den Armen und Kranken beizustehen, den Heimatlosen und Notleidenden zu helfen. Und doch, liebe Weihekandidaten, ist das nur eine der Fragen, zu denen Sie nachher Ihre Bereitschaft bekunden. Zuvor werden Sie danach gefragt, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden, treu Ihr Gebet zu verrichten. Denn beides gehört zusammen: der Dienst am Nächsten und das Bekenntnis zum Glauben. Es ist Christus, der die ersten Ständigen Diakone für unsere Erzdiözese berufen hat. Es ist Christus, der Sie, liebe Weihekandidaten, in seinen Bann gezogen hat, so dass Sie heute Ja sagen können. Sie haben als Diakone die Gelegenheit, diese Verbindung von Liturgie und Diakonie, von Gottesliebe und Menschenliebe zu leben und dafür Zeugnis zu geben. Das ist Ihr ganz entscheidender Auftrag in unserer Zeit, die Gefahr läuft, Gott aus dem Alltag zu vertreiben.
Ja, bereits mit dem Beginn des Ständigen Diakonats ist dieses Vertrauen auf die Wirkmacht Gottes verbunden. Denn wenn man etwas Neues beginnt, weiß man noch nicht, ob es sich bewähren wird. Am Anfang können wir nicht sagen, ob in diesem Ursprung genügend Dynamik steckt, so dass es zu Wachstum und Aufbruch kommt. Was wir aber wissen, ist: Wenn Gott den Anfang macht, dann liegt in diesem Anfang Seine Dynamik. „Dynamis“, dieses griechische Wort steht in der Heiligen Schrift für die Kraft Gottes, den Heiligen Geist. Christus selbst verheißt seinen Jüngern, dass sie die „Kraft – die Dynamik – des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 1,8) werden. Die Dynamik des Anfangs ist der Geist Gottes. Wo er wirkt, bleiben Wirkungen nicht aus.
Es ist Gottes Geist, der am Anfang das All durchweht und in der Schöpfung Ordnung schafft; ist der Gottes Geist, der Seher und Propheten weckt; es ist der Geist, der Gottes Sohn antreibt, die Menschen zu erlösen. Wo dieser Geist die Welt durchweht und wohin sein Feueratem fällt, da wird Gottes Reich lebendig (vgl. GL 249). So war es bei der Wahl der ersten Diakone in der Apostelgeschichte; so war es bei der Wiedereinführung des Ständigen Diakonats und so ist es in dieser Stunde der Diakonenweihe. Wo immer der Geist Gottes weht, kommt es zu Wachstum und Aufbruch. Daran erinnert uns das Weihegebet, das wir nachher beten, in dem es heißt: „Als die Kirche zu wachsen begann, bestellten die Apostel deines Sohnes, geleitet vom Heiligen Geist, sieben bewährte Männer.“
Liebe Weihekandidaten,
die Bitte im Weihegebet um die Herabkunft des Heiligen Geistes auf Sie ist die Bitte an Gott, Ihnen die Anfangsdynamik seines Geistes zu schenken. Deshalb singen wir alle zu Beginn der Weihehandlung den Heilig-Geist-Hymnus, um deutlich zu machen, dass wir nicht aus eigener Kraft handeln. Gott ist es, der durch uns wirkt; Jesus Christus ist es, der uns dazu stärkt und aufrichtet. Christus, der selbst von sich sagt: „Ich bin unter Euch wie einer der dient, wie ein Diakon.“5
Nun ist die Diakonie in der Kirche nicht Ihr exklusiver Dienst. Erzbischof Hermann hat deshalb in seiner Predigt vor 40 Jahren Wert darauf gelegt, dass „die Kirche als ganze und darum alle ihre Glieder einen Dienstauftrag [haben] am Menschen für sein Heil“. Die Diakonie ist eine „christliche Pflicht, die keiner auf den anderen abwälzen kann.“ Sie ist ein Wesens- und ein Qualitätsmerkmal jedes christlichen Lebens und eine Konsequenz für jeden, der vom Evangelium begeistert ist. Die Diakonie ist jedem Christen aufgetragen. Gerade deshalb ist es aber wichtig, dass dies auch in einem Amt der Kirche exemplarisch deutlich wird. Der Dienst am Nächsten ist kein Anhängsel an den Glauben, auf den wir zur Not auch verzichten könnten. Er gehört in die Mitte der Kirche. Gerade deshalb, liebe Weihekandidaten, ist Ihr Dienst so wichtig, weil er zeigt, dass der christliche Glaube nur dann gelebt werden kann, wenn er sich im Miteinander bewährt. Die Kirche soll deshalb – wie es Papst Benedikt XVI. so trefflich formuliert hat – „ein Ort der gegenseitigen Hilfe sein und zugleich ein Ort der Dienstbereitschaft für alle der Hilfe Bedürftigen, auch wenn diese nicht zur Kirche gehören“. (DCE 32)
So kann man denn auch, liebe Weihekandidaten, im Konradsblatt bei jedem von Ihnen lesen, wo Sie Ihren diakonischen Schwerpunkt haben: in Altenseelsorge, in der Krankenseelsorge, in der Schwerhörigen- und Gehörlosenseelsorge, in der Tauf- und Firmkatechese, in der Mitarbeit bei der Sozialstation, in der Hauskommunion oder in der Trauerpastoral.
Durch Ihren persönlichen Einsatz bezeugen Sie aber nicht nur, dass die Kirche als ganze und darum alle ihre Glieder einen Dienstauftrag am Heil der Menschen haben. Gleichzeitig sollen Sie sicher stellen, dass dieser Dienst in der Kirche einen festen Platz hat. Als Diakone sind Sie aufgefordert, vor allem ein Gespür dafür zu entwickeln, wo der Dienst der Kirche am Menschen noch nicht in ausreichender Form geleistet wird, wo Menschen in ihren Nöten und Bedürfnissen übersehen werden. Dies kann manchmal ein unbequemer Dienst sein. Aber er entspricht der prophetischen Dimension des diakonischen Amtes. Deswegen heißt es schon in der frühen Kirche, dass der Diakon „Auge und Ohr der Kirche“6, ja sogar des Bischofs, sein soll. Er soll die Nöte der Menschen sehen, ihre Sorgen hören und sie der Gemeinde sagen, damit diese darauf reagieren kann.7
Dieser Dienst am Nächsten, ich habe schon darauf hingewiesen, hat seine Quelle im Gebet, in der Feier der Sakramente, in der Liturgie. Deshalb ist es keine Garnierung oder Erhöhung der Feierlichkeit, wenn der Diakon auch in der Liturgie aktiv mitwirkt. Manche, die vielleicht nicht sehen, wie ein Diakon bei Krankenbesuchen oder mit Behinderten wirkt, können den Eindruck bekommen, dass dies das einzige Betätigungsfeld eines Diakons sei. Vielmehr ist es umgekehrt. All das, was er in der Begleitung der Menschen erlebt, fließt wieder ein in das Gebet, in die Liturgie. Und von dort bekommt er wieder die Kraft, sich den Menschen zuzuwenden, die seine Hilfe brauchen. Das soll jedoch nicht ein rein innerer Vorgang bleiben, sondern sich für alle im Gottesdienst öffentlich zeigen. Darin wird verdeutlicht, dass die Diakonie ihre Quelle in der Liturgie hat und dass die Liturgie in der Diakonie ihre Fortsetzung findet. Das gilt für die Diakone in besonderer Weise; das gilt aber uns allen, die wir als getaufte und gefirmte Christen von Gott gerufen sind, Zeugnis für ihn abzulegen.
In unserer Weiheliturgie wird diese Verbindung sinnenhaft erkennbar. Die Weihekandidaten werden sich vor Gott ganz ausgestreckt auf den Boden legen. Wir alle als versammelte Kirche rufen die Heiligen an und bitten Gott für unsere Weihekandidaten: „Segne, heilige und weihe deine Diener, die du erwählt hast.“ Im anschließenden Gebet heißt es dazu: „Erfülle unser Tun mit deiner Gnade.“ Gott ist es, der in dieser Liturgie an Ihnen handelt, liebe Weihekandidaten. Gott handelt an uns allen. Wir versammeln uns in der Liturgie, weil Gott für uns da ist und seinen Dienst für uns vollziehen will. Die Kraft zum Dienen schenkt Christus, wenn wir uns in seinem Namen zum Gottesdienst versammeln. Deswegen wird der Diakon die Menschen immer wieder einladen, in der Liturgie die Nähe Gottes zu suchen; und er selbst braucht sie, um so Kraft zu finden für seinen Diakonat.
Liebe Schwestern und Brüder,
die Liturgie ist der Ort, an dem wir das Wirken des Heiligen Geistes erfahren. Die Liturgie ist der Ort, von dem deshalb immer wieder eine neue Dynamik ausgeht. In dieser Stunde erinnern wir uns dankbar an die Dynamik vor vierzig Jahren, als die ersten Diakone in unserer Erzdiözese geweiht wurden. In dieser Stunde hier und jetzt werden wir uns neu gewiss, dass Gottes Geist seine Dynamik Ihnen, liebe Weihekandidaten, schenkt. Mit der Zusage, dass er Ihnen beisteht, werden Sie gesandt, als Zeugen Christi den Menschen dienen. Ihre Weihe und Sie selbst machen damit deutlich: „Die Mission der Kirche Jesu Christi ist nicht aufzuhalten.“ Amen.
1 Anton Vögtle, Die Dynamik des Anfangs. Leben und Fragen der jungen Kirche, Freiburg 1988, 200.
2 Ansprache des Herrn Erzbischofs Dr. Hermann Schäufele bei der Weihe Verheirateter Diakone – Freiburg am 3. Oktober 1970
3 Die Weihe des Bischofs, der Priester und der Diakone. Pontifikale I, hrsg. im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutschlands u.a., Trier 21994, 155.
4 Ansprache des Herrn Erzbischofs Dr. Hermann Schäufele bei der Weihe Verheirateter Diakone – Freiburg am 3. Oktober 1970
5 Lk 22,27: „Welcher von beiden ist größer: wer bei Tisch sitzt, oder wer bedient? Natürlich der, der bei Tisch sitzt. Ich aber bin unter euch wie der, der bedient“.
6 In diesem Wortspiel sind zwei Quellen zusammengeflossen: Im Testament des Herrn – Testimonium Domini I, 35 (3. Jhd.) heißt es, dass der Diakon „in allem wie das Auge der Kirche sein soll“. In der syrischen Kirchenordnung (5. Jhd.) heißt es, dass der Diakon soll „das Gehör des Bischofs sein, sein Mund, sein Herz und seine Seele“. (Didascalia Cap. XI: TU 25,2,59)
7 „Er (erg. der Diakon) macht der Gemeinde die Namen derer bekannt, die der Hilfe bedürfen.“ (Testimonium Domini I. 37,5)
Textquelle-Internet: http://www.ebfr.de/html/aeltere_predigten_reden.html Das Bild stammt aus dem Bildarchiv von H. Schmider.