Da das erhoffte Gespräch heute wieder nicht stattfand, korrigierte ich die Unterkurs-Klassenarbeit, präparierte[1] mein Büro unter Zeugen und ging dann gegen 15.00 Uhr nach Hause. Nach einer halben Stunde in der Hängematte, hatte meine Frau einen feinen Salat gemacht, wie schon die ganze Woche. Da mich eine große Müdigkeit überfiel, ging ich wider meine Gewohnheit danach ins Bett. Ich schlief bis kurz nach 20.00 Uhr, im Fernsehen begann gerade der Freitagabendkrimi. Christoph hatte ich gestern schon versprochen, mit ihm Fußball zu spielen, und dieses Versprechen musste noch heute eingelöst werden. Wir spielten etwa eine halbe Stunde, dann fuhren Rosi und Christoph nach Lenzkirch, um den Emanuel vom Grillen abzuholen. Da ich ausgeruht war, wollte ich noch einen kleinen Spaziergang machen. Meist zieht es mich dabei auf die Anhöhen in der Umgebung. Neulich, auf meinem Weg zur Fürsatzhöhe hatte ich damit begonnen, das Johannesevangelium zu lesen. Am Saiger Berg, nahe des Seehofs, kannte ich einen schönen Aussichtspunkt; Dort befindet sich auch eine Bank und dorthin wollte ich, um den See und die Ruhe des Ortes zu genießen. Ich machte mich also auf den Weg, betrachtete die kunstvollen Uhren in der Seestrasse, und erinnerte mich an meinen Opa, der eine schlichte aber wunderschöne Standuhr mit Westminstergong besaß. Aus dem Bergsee-Biergarten schallte lautes Lachen, Betrunkene lallten. Ich ging am Seehof vorbei, durch die Unterführung hindurch und den Saiger Weg geradeaus hinauf. Es war finstere Nacht und ich hatte schreckliche Angst. Ich wusste, ich musste diese Angst überwinden, um so auf dem Weg weiter zu kommen. Ich fühlte da schon, dass Gott mich lenkt und ich eigentlich keine Angst zu haben brauchte, aber ich hatte sie dennoch. Nur das Vorbeifahren der Autos auf der B 31 hinter mir nahm ich wahr. Vor meinen Augen – nur dunkel und schwarz – und Geräusche aus dem Wald. Ich ging weiter bergan. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und meine Angst wich. Als ich zu besagter Stelle kam, wo die Bank war, wollte ich diese von hinten her, indem ich quasi einen Bogen um sie herum machte, betreten.
Dann - plötzlich - sah ich ihn. Zuvor schon beim bergan gehen hatte ich Angst, ihm eventuell zu begegnen. Dass er vielleicht einfach dasteht, etwas spricht, oder mich blendet, wie damals den Mose[2]. Ich hatte auch Angst vor einem Wort, welches die Stille durchbrechen könnte. Ich hatte Angst vor einer eventuellen Erscheinung Gottes. Obwohl ich schon oft um ein Zeichen bat, und in den letzten Tagen und Wochen unmissverständliche Zeichen empfing, so sollte ich auch jetzt wieder ein Zeichen bekommen. Größer als alle zuvor dagewesenen. Aber – nichts durchbrach die Stille. Kein Wort – nur Gedanken innen und Natur- und Strassengeräusche außen. Wie gesagt - plötzlich war er da. Ich war noch auf dem Weg und schaute mich um, ob sonst niemand hier war. Ich hatte keine Angst mehr – sie war weg. Ich ging zwei bis drei Schritte abseits des Weges, hin zu ihm, kniete nieder und begann zu beten. Ich betete zum Vater im Himmel, zu seinem Sohn, dessen Kreuz ich vor Augen sah und zu dessen Fuß ich kniete, und zum Heiligen Geist, der mich in den vergangenen Wochen so oft erleuchtet hat. Ich bat um die Vergebung meiner Schuld. Ich bat den Herrn, mich auf meinem Lebensweg durchs irdische und ewige Leben zu begleiten. Ich bat ihn vorauszugehen, dass ich folgen könne. Ich versprach, die Bibel und die heiligen Evangelien zu lesen und nach den Geboten des Herrn, versuchen zu leben. Das Problem, das ich z.Z. bei meiner Arbeit habe, kam mir so unendlich klein vor, verglichen mit der Größe der Erfahrungen in diesem Augenblick. Ich erkannte, es war von ihm so gewollt, er hatte mich hierher gerufen. Nie zuvor hatte ich sein Kreuz hier gesehen. Jetzt sah ich es hoch über mir – ich wagte kaum, aufzuschauen. Ich betete, sprach mit ihm; er hörte zu und war ganz nahe bei mir. Im Erleben tiefster Gefühle flossen langsam die Tränen über meine Wangen. Ich dankte für alle guten und mir wertvollen Gaben und versprach, dass wenn die Zeit gekommen, ich ein sichtbares Zeichen setzen wollte; aus Dankbarkeit und Liebe und als Bekenntnis meines persönlichen Glaubens. Spontan dachte ich an den Bau einer Kapelle. Was ich mir also wünschte, trat ein. Gott hörte mir zu, er war mir sehr nah und er wird die Dinge so lenken, dass es so kommen wird, wie auch er es will. Ich hatte das Gefühl, von ihm ganz angenommen zu sein – ein nicht beschreibbares, mit Worten ausdrückbares Gefühl. Nach einer halben, vielleicht auch einer ganzen Stunde küsste ich den Waldboden, betrat den Weg und dankte dem Herrn für dieses großartige Erlebnis.
Mit sicherem Gefühl ging ich bergab, drehte mich auf halber Höhe und dankte noch einmal. Unten bei der Seehofschranke dann
nochmal. Am Seeufer entlang zu Hause angekommen, war es kurz vor Mitternacht. Überm Saiger Berg war gerade der Mond aufgegangen. Ohne den eventuellen oder wahrscheinlichen Grund zu kennen, war
für mich diese Begegnung so tiefgründig und bedeutend, dass ich sie noch in dieser Nacht aufschreiben werde, um eventuell eines Tages hiervon Zeugnis zu
geben[3].
[1] Ich wusste, dass mein Widersacher mein Büro durchsuchen würde, um an Informationen zu gelangen bzw. für ihn belastendes Beweismaterial zu vernichten. Deshalb präparierte ich mein Büro und hatte anderntags tatsächlich den Beweis.
[2] Meine Identitätskrise ist vergleichbar mit der des Mose. Auch ich habe ein allzu brennendes Problem.
[3] Nach nunmehr zwanzig Jahren des Schweigens wird sich diese Prophezeiung hiermit erfüllen.
In mir brannte das Feuer der Angst, denn ich traute meinem Widersacher zu, dass er mich töten würde. Außer meiner Frau konnte niemand meine Lage begreifen. Einzig sie und meine Kinder hielten zu mir. Bezüglich meines Umfelds verlor ich nahezu alle Bindungen und sozialen Kontakte. Und – mein Ansehen war gänzlich ruiniert (Identitätskrise). So war ich in einmaliger und besonderer Weise dafür empfänglich, von jemandem wahrgenommen, ernstgenommen und überhaupt gesehen zu werden. In diesem Vakuum berührte mich Gott. Er war es, der mich sah und der mir dieses Ansehen zurück schenkte, weil ich seine Annäherung und seine Berührung wünschte und zugleich zuließ. Von diesem Zeitpunkt an wuchsen mir ungeahnte, selbst nicht für möglich gehaltene, physische und psychische Kräfte - bis zum heutigen Tag - zu.